RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

22.
August
2015

Fehlschluss #36: Der Mehrdeutigkeitsfehlschluss

Geschrieben von Michael Hohner am 22. August 2015, 13:50:51 Uhr:

Dieser Fehlschluss entsteht, wenn ein Wort mit mehreren Bedeutungen in einem Argument verwendet wird, und dabei von einer zur anderen Bedeutung gewechselt wird. Es kann dann sein, dass eine Prämisse für die eine Bedeutung zutrifft, aber für eine andere nicht, dass aber so getan wird, also ob das Wort nur in einer Bedeutung verwendet wird. Das Argument ist damit nicht mehr schlüssig, was aber nicht sofort auffällt.

Beispiel:

Wir haben alle einen Personalausweis. Aber Staaten haben kein Personal, sondern Bürger. Firmen haben Personal. Deshalb ist Deutschland kein Staat sondern eine Firma.

Hier wird von „personal” im Sinne von „persönlich” zu „Personal” im Sinne von „Beschäftigter in einer Firma” gewechselt. Die zwei Prämissen beziehen sich damit nicht auf einen, sondern auf zwei verschiedene Sachverhalte, und damit folgt aus diesen Prämissen nicht mehr zwingend die Schlussfolgerung.

Ein Kennzeichen dieses Fehlschlusses ist auch, dass er stark sprachabhängig ist. Oft wird er offensichtlich, wenn man das Argument in eine andere Sprache übersetzt, nämlich dann, wenn man in der anderen Sprache für die unterschiedlichen Bedeutungen auch unterschiedliche Wörter verwenden muss, weil dort nicht die gleiche Mehrdeutigkeit des Ausgangswortes vorhanden ist. Im Englischen würde man im obigen Beispiel einmal „personal” und einmal „personnel” oder „employee” verwenden, und der Fehler wäre klar sichtbar.

Weitere Beispiele:

Die Evolutionstheorie ist nicht bewiesen, denn sie ist ja nur eine Theorie. Deshalb ist die Schöpfungslehre eine gleichberechtigte Alternative.

Hier wird „Theorie” einmal in der Alltagsbedeutung von „unbewiesene Idee” verwendet, dann aber bezogen auf die Evolutionstheorie, wo „Theorie” die Fachbedeutung „gut belegte Beschreibung von und Erklärung für beobachtete Tatsachen, und erfolgreiche Vorhersage für künftig beobachtbare Tatsachen” hat. Evolutionstheorie und Schöpfungslehre wären aber nur dann gleichberechtigt, wenn „Theorie” nur die erste Bedeutung hätte.

Und nicht ganz erst gemeint:

Nichts ist besser als ewiges Glück. Butterbrot ist besser als nichts. Folglich ist Butterbrot besser als ewiges Glück.

Hier wird „nichts” in zwei leicht unterschiedlichen Bedeutungen verwendet (die herauszuarbeiten durchaus einige Sätze Platz beanspruchen würden), deshalb ist die Hierarchie „Butterbrot” > „nichts” > „ewiges Glück” so nicht begründbar.