RatioBlog
29.
Juli
2009

Actimel® - Wirkung unwissenschaftlich bestätigt

Geschrieben von Michael Hohner am 29. Juli 2009, 07:27:37 Uhr:

In letzter Zeit wirbt Danone intensiv im Fernsehen für ihren Trunk „Actimel” mit der Schlagzeile

Actimel – activiert Abwehrkräfte – Wirkung wissenschaftlich bestätigt
und
Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung und eines gesunden Lebensstils hilft Actimel bei täglichem Verzehr die Abwehrkräfte zu stärken.

Für alle, die nicht wissen, worum es hier geht, eine kurze Zusammenfassung: Actimel ist ein fermentierter Milchtrunk mit lebenden Milchsäurebakterien. Diese überleben den Weg durch den Magen und sollen dann im Darm die Darmflora „aktivieren” und das Immunsystem „verbessern”. Ähnliche Produkte, sogenannte probiotische Nahrungsmittel, gibt es auch von anderen Herstellern, z. B. Yakult, Activia (Joghurt, ebenfalls Danone), LC1 (Nestlé).

Ein Immunologe würde auf solche Behauptungen entgegnen, dass das Immunsystem eines gesunden Menschen nicht gestärkt werden kann. Es arbeitet immer auf maximal notwendigem Niveau. Man kann bestenfalls Dinge unterlassen oder vermeiden, die das Immunsystem schwächen, z. B. Unterernährung, starker physischer und psychischer Stress, Bestrahlungen, Chemotherapie, AIDS-Erkrankung, usw. Bei einem gesunden Menschen braucht das Immunsystem keine Unterstützung von außen.

Ebenso ist die Darmflora, die sich auf natürliche Weise eingestellt hat, keinesfalls ungesund, und es besteht keine Notwendigkeit, diese durch eine andere Darmflora zu ersetzen. Selbst wenn die Darmflora einmal stark reduziert oder komplett abgetötet wurde, z. B. durch eine Behandlung mit Breitbandantibiotika aufgrund einer anderen Erkrankung, dann regeneriert sich die Darmflora auf natürliche Weise wieder. Das geschieht durch unabsichtliche Einnahme von Darmbakterien aus der Umwelt. Selbst unsere scheinbar so saubere Umgebung in der sogenannten „ersten Welt” ist nicht völlig keimfrei. Eine Berührung einer Türklinke, eines Wasserhahns, oder ein freundlicher Händedruck reichen aus um neue Darmbakterien auf die Haut zu übertragen, und ein kurzes Lecken des Zeigefingers beim Umblättern der Zeitung genügt, damit diese Bakterien den Weg in unsere Innereien antreten. Das klingt nicht sehr appetitlich, ist aber im Grunde ein unvermeidbarar und harmloser Vorgang. Auf ebenso natürliche Weise erhalten auch Kleinkinder, die steril geboren werden, ihre eigene Darmflora, typischerweise von der Mutter.

Tatsächlich befindet sich unser Immunsystem und die Darmflora in einem permanenten Gleichgewicht. Das Immunsystem arbeitet beständig daran, die Darmbakterien innerhalb des Darms unter Kontrolle zu halten. Der Nutzen der Darmflora für unsere Verdauung ist dabei nicht wesentlich. Der größte Nutzen ist noch, dass die Bakterien die ökologische Nische „Darm” vollständig besetzt halten, so dass kein Raum für andere, nicht so harmlose und leicht in Schach zu haltende Stämme bleibt. Dass auch die natürliche Darmflora nicht so harmlos, sondern hauptsächlich auf den eigenen Nutzen bedacht ist, merkt man, wenn der Darm einmal verletzt wird und die Darmflora die Darmwand überwindet.

Was sind also diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Danone anführt und die eine solche erstaunliche Wirkung nachweisen sollen?

Freundlicherweise kann man diese Studien auf der Promotion-Webseite von Actimel einsehen. Danone nennt „über 30 Studien”. Davon möchte ich auf einige eingehen und mit anderen, unabhängigen Studien vergleichen:

Studie 1:

In einer der Studien[1] wurde 136 gestressten Studenten in 2 Gruppen 6 Wochen lang entweder Actimel oder normale Milch verabreicht. Vor und nach diesem Zeitraum wurde der Stresslevel erfragt und die Anzahl der Lymphozyten gemessen. Der Stresslevel stieg in beiden Gruppen (während des Prüfungszeitraums) etwa gleich an. Bei der Actimel-Gruppe jedoch stieg auch die Anzahl der Lymphozyten signifikant an, während die der Kontrollgruppe leicht sank. Gleichzeitig sank bei der Kontrollgruppe die Anzahl der CD56-Zellen, während sie bei der Actimel-Gruppe etwa gleich blieb. Das Fazit der Studie:

Milk fermented with yogurt cultures plus Lactobacillus casei DN-114001 was able to modulate the number of lymphocytes and CD56 cells in subjects under academic examination stress.

Das ist tatsächlich eine Aktivierung von Abwehrkräften. Allerdings ist mir ein Rätsel, inwiefern das als positives Ergebnis zu werten sein soll. Wenn dem Körper ein neuer Bakterienstamm zugeführt wird, der zudem den Magen in großer Zahl passiert, dann ist nichts anderes zu erwarten, als dass das Immunsystem gegen diese körperfremden Organismen mobil macht. Normalerweise würde man das als „entzündliche Reaktion” bezeichnen, nicht als Stärkung des Immunsystems. Wenn ein Arzt die Diagnose „erhöhte Lymphozytenzahl” überbringt, dann hat er normalerweise kein Lächeln im Gesicht, sondern runzelt besorgt die Stirn.

Studie 2:

Eine andere Studie[2] untersuchte die Wirkung von mit Lactobacillus casei fermentierter Milch im Vergleich zu Joghurt bei Durchfallerkrankungen von Kleinkindern. Als Ergebnis nahm die Häufigkeit des Durchfalls bei fermentierter Milch zwar ab, aber nicht sehr stark im Vergleich zu normalem Joghurt (15,9% ggü. 22%). Über die Dauer des Durchfalls wird in der Zusammenfassung nichts gesagt, deshalb ist dort kein wesentlicher Unterschied zu erwarten. Zudem muss erwähnt werden, dass nicht klar ist, ob auch der gleiche Stamm von L. casei verwendet wurde, der auch in Actimel enthalten ist.

Studie 3:

Eine weitere Studie[3] untersuchte die Wirkung von Actimel im Vergleich zu Joghurt auf die Infektionskrankheiten älterer Menschen. Diese Studie ist explizit als Pilotstudie gekennzeichnet, genügt also eher niedrigeren Ansprüchen. Das Ergebnis:

We found no difference in the incidence of winter infections between groups.
und
However, duration of all pathologies was significantly lower in the treatment group (7.0 3.2 days, n=180) than in the control group (8.7 3.7 days; n=180) (p=0.024), as was maximal temperature (38.3 0.5 C treatment group vs. 38.5 0.6 C control; p=0.01). The potential for a 20% reduction in the duration of winter infections that we have found warrants further investigation on a larger scale.

Mit anderen Worten, mit der dauerhaften Einnahme von Actimel anstelle von Joghurt erreichte man eine Verkürzung einer Infektion von etwa 1½ Tagen bei einer geringfügig geringeren Maximaltemperatur, jedoch keine Reduzierung der Anzahl der Infektionen (Ergebnis signifikant, aber nicht besonders hoch).

Die Studie stammt von 2003, und von keinem der vier Autoren ist in PubMed die angeregte Nachfolgestudie in größerem Maßstab verzeichnet.

Weitere Studien

Weitere der restlichen genannten Studien beschreiben Versuche an Mäusen und an Zellkulturen. Deren Ergebnisse sind weit interpretierbar und nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar. Eine Schlussfolgerung der Art „stärkt das Immunsystem” lässt sich daraus nicht ziehen.

Das Bundesamt für Risikobewertung sagt speziell zu Wirknachweisen von Probiotika:[4]

Ergebnisse aus in vitro durchgeführten oder tierexperimentellen Untersuchungen können einem Screening dienen oder Hinweise auf mögliche gesundheitsrelevante Wirkungen liefern. Als wissenschaftlich hinreichend gesichert können Wirkungen jedoch nur angesehen werden, wenn sie durch Studien mit probiotischen Mikroorganismen am Menschen belegt werden, wobei ihre Übertragbarkeit für das jeweilige Produkt gesichert sein muss.

Die Webseite

Vielsagend sind auch die Formulierungen auf der Webseite von Actimel. Obwohl Actimel bei oberflächlicher Betrachtung der Seite beinahe wie ein Medikament erscheint, wird doch nirgendwo von „Behandlung”, „Heilung”, „Verabreichung” oder „Krankheit” gesprochen. Stattdessen werden Formulierungen gebraucht wie „Im Rahmen […] einer gesunden Lebensführung […]”, „hilft […] zu stärken”, „Verzehr” (statt „Einnahme”). Das ist kein Zufall. Das Vermeiden der Nennung einer Indikation oder einer spezifischen Heilwirkung erlaubt es Danone, diesen Trunk als Nahrungsergänzungsmittel bzw. Lebensmittel zu verkaufen. Diese sind weit weniger streng reguliert als Medikamente. Insbesondere sind keine groß angelegten klinischen Studien zur Wirksamkeit, Sicherheit, Verträglichkeit, Dosierung und Gegenindikation vorgeschrieben, und das Produkt muss nicht in Apotheken verkauft werden. Die Kostenersparnis und Erweiterung des potentiellen Kundenkreises ist enorm, um den kleinen Preis, mit den Formulierungen auf Zehenspitzen herumzuschleichen. Da bleiben dann Binsenweisheiten wie folgende nicht aus:

Zahlreiche Studien dokumentieren inzwischen, dass die probiotischen Eigenschaften eines Lebensmittels [!] von Kultur zu Kultur variieren.

Mit obiger Aussage wird Prof. Dr. nat. techn. Wolfgang Kneifel zitiert, der wohlgemerkt kein Immunologe, Gastroenterologe oder ein Mediziner ähnlicher Fachbereiche ist, sondern Doktor der Bodenkultur.

Auch sonst enthält die Webseite hauptsächlich Allgemeinplätze. Die Tips zur Stärkung des Immunsystems (eher, der Nicht-Schwächung) sind meist korrekt, jedoch haben die Punkte 1 bis 9 wohl einen größeren Einfluss als Punkt 10 (regelmäßige Einnahme von Actimel).

Die Fernsehwerbung

Die aktuelle Werbung ist besonders drollig. Dort ist beispielsweise ein angeblicher Teilnehmer einer Studie zu sehen, der folgendes sagt (aus dem Gedächtnis):

Ich habe mich in der Studie für Actimel entschieden, und es hat mir geholfen.

Mit anderen Worten, die angebliche Studie war nicht randomisiert und nicht placebokontrolliert, und folglich auch nicht doppelt verblindet. Derartige Studien werden allgemein als „nutzlos” bezeichnet. Alleine das entlarvt den Spot als das was er ist: Werbung, nicht Wissenschaft.

Unabhängige Beurteilungen

Das Bundesamt für Risikobewertung hat folgendes zu Nahrungsergänzungsmitteln zu sagen:[5]

[…]Grundsätzlich sind Nahrungsergänzungsmittel für gesunde Personen, die sich normal ernähren, überflüssig.[…]

Speziell zu Probiotika schreibt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen:

Probiotika können die Dickdarmflora oder auch das Immunsystem beeinflussen. Ob dies, wie die Werbung verspricht, die Abwehrkräfte stärkt, ist noch nicht eindeutig belegt.

Auch diverse Reviews der Cochrane Collaboration bescheinigen allenfalls eine geringe Linderung bei Durchfallerkrankungen, jedoch keine eindeutig nachgewiesene Stärkung des Immunsystems oder andere Gesundheitsvorteile.[6]

Fazit

Was bleibt ist also ein recht zweifelhafter Nutzen mit vergleichsweise dünnen Nachweisen. Dem entgegen stehen die Kosten für das Produkt. In Studie 1[1] wird eine tägliche Einnahme von 200 g des Produkts genannt. Bei einem Packungsinhalt von 600 g (6er-Pack) und einem Preis von etwa 2,50 € müsste man jährlich über 300 € aufwenden, um z. B. seine jährlichen grippalen Infekte um insgesamt 2 oder 3 Tage zu verkürzen. Eine nur gelegentliche Aufnahme würde in Bezug auf die Immunabwehr praktisch gar nichts bringen. Die Kosten-Nutzen-Abwägung muss jeder für sich vornehmen.

Quellen

  1. The effect of milk fermented by yogurt cultures plus Lactobacillus casei DN-114001 on the immune response of subjects under academic examination stress.
  2. Multicentric study of the effect of milk fermented by Lactobacillus casei on the incidence of diarrhoea.
  3. Effect of fermented milk containing the probiotic Lactobacillus casei DN-114001 on winter infections in free-living elderly subjects: a randomised, controlled pilot study.
  4. http://www.bfr.bund.de/cm/208/probiot.pdf
  5. http://www.bfr.bund.de/cd/945
  6. Cochrane Reviews