November
2009
Forschung: Störche bringen Kinder
Geschrieben von Michael Hohner am 17. November 2009, 20:19:01 Uhr:
Natürlich tun sie das nicht. Aber in der Tagespresse kann man ähnlich formulierte Schlagzeilen fast täglich lesen. Meistens wird dann berichtet, dass jemand einen Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen festgestellt hat. „Zusammenhang” heisst in diesen Fällen meistens, dass zwei Ereignisse häufig zeitgleich oder kurz hintereinander auftreten. Das wird dann Korrelation genannt. So wurde beispielsweise tatsächlich festgestellt, dass um Berlin sowohl die Zahl der Hausgeburten als auch die Zahl der Störche angestiegen ist.[1] Bringen also Störche vielleicht doch die Kinder?
Wenn zwei Ereignisse A und B zusammen auftreten, dann kann das einen der folgenden Gründe haben:
- A verursacht B (eventuell auch indirekt)
- B verursacht A (eventuell auch indirekt)
- Ein drittes Ereignis C verursacht sowohl A als auch B (eventuell auch indirekt)
- A und B treten rein zufällig zusammen auf
Welcher trifft zu?
Die vierte Möglichkeit kann man ausschließen, indem man größere und andere Populationen betrachtet, mehr Experimente durchführt, einfach mehr Daten betrachtet. Wenn die Datengrundlage größer wird und der Zusammenhang bestehen bleibt, dann nennt man das eine signifikante Korrelation, d. h. es besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Zusammenhang rein zufällig ist (typischerweise werden nicht-signifikante Korrelationen nichtmal veröffentlicht, und man geht zum nächsten Thema über).
Wenn man den reinen Zufall ausgeschlossen hat, dann kommt der schwierige Teil, der Nachweis der Kausalität, also des ursächlichen Zusammenhangs. Im Beispiel mit den Störchen und Kindern kann man da recht einfach auf bestehendes Wissen zurückgreifen. Wir wissen recht gut, wie sich Störche verhalten, und wir wissen recht gut, wo die Kinder herkommen. Störche bringen keine Kinder, und Kinder bringen auch keine Störche. Möglichkeit 1 und 2 kann man also einfach dadurch ausschließen, dass sie nicht plausibel sind. Der Verdacht liegt nahe, dass eine oder mehrere andere Ursachen sowohl für mehr Störche als auch mehr Kinder sorgen.
In anderen Szenarien ist das vielleicht nicht so leicht zu entscheiden wie in dieser nicht ganz ernst gemeinten Arbeit. Man kann aber die Hypothese "A verursacht B" aufstellen und diese testen, z. B. indem man das Auftreten von A im Experiment gezielt ausschließt oder Daten gezielt betrachtet, in denen A nicht auftritt. Wenn dann B trotzdem noch genauso häufig auftritt, dann kann A nicht die Ursache sein. Ebenso kann man das Auftreten von B betrachten und ermitteln, ob A immer davor oder gleichzeitig auftritt. Man kann auch andere Begleitumstände D, E, F usw. variieren und sehen, wie sich das auf A und B auswirkt. Dieser Prozess kann sehr aufwändig sein, wenn die betrachteten Situationen sehr komplex sind. Das ist oft in der Medizin und insbesondere Epidemiologie der Fall. Es gibt viele unterschiedliche Menschen in vielen unterschiedlichen Lebenssituationen, und es kann extrem knifflig sein, die Ursache(n) X für eine Erkrankung Y zu finden.
In unserem Beispiel ist die Ursache für die Korrelation von Störchen und Hausgeburten die Struktur der Ortschaften. In den betrachteten Siedlungen gibt es viele einzelne Häuser mit einzelnen Familien und vielen Kaminen. Diese Umgebung ist attraktiv sowohl für Störche als auch für Familien mit vielen Kindern.
Dieses Beispiel soll eine wichtige Grundregel verdeutlichen: Eine Korrelation ist nicht automatisch auch eine Kausalität.
Leider wird diese Regel oft ignoriert. In den erwähnten Pressemeldungen geht es oft nur um eine gefundene Korrelation. Allzu schnell wird das dann in eine vordergründige (aber nicht unbedingt richtige) Kausalität umformuliert. Es entstehen dann Schlagzeilen wie
- „Fertignahrung macht depressiv”[2]
- „Killerspiele machen aus Jugendlichen Amokläufer”
- „Dummheit macht krank”[3]
Bei derartigen Schlagzeilen sollten sofort die Alarmglocken schrillen. Allzu oft wird von den Daten diese Kausalität gar nicht aufgezeigt und nur vom Schlagzeilenredakteur hinzugedichtet, oder der Verdacht wird in der Studie zwar geäußert aber nicht belegt. Der vorgebrachte kausale Zusammenhang spiegelt oft nur den Volksglauben oder die vorgefertigte Meinung wider, nicht die tatsächlichen Ergebnisse der Studie. Man muss schon etwas tiefer graben:
- Was steht in den Studien wirklich, über die berichtet wird?
- Lassen sich aus den Daten wirklich die vorgebrachten Schlüsse ziehen?
- Wurden alternative, insbesondere gegenteilige, Hypothesen ausreichend überprüft?
- Wurde der gleiche Zusammenhang von anderen Studien, basierend auf anderen Daten, ebenfalls gefunden?
Diese Fragen stellt hoffentlich auch die Politik und andere Entscheidungsträger, damit wir von den Auswirkungen möglicher Fehlschlüsse bewahrt bleiben.