September
2010
Massimo Pigliucci - Nonsense on Stilts
Geschrieben von Michael Hohner am 25. September 2010, 12:40:27 Uhr:
Was ist Wissenschaft, und was ist keine Wissenschaft? Welche Kriterien muss man ansetzen, um menschliche Unternehmungen klar in Wissenschaft und nicht-Wissenschaft einteilen zu können? Diese Frage, modern das „Abgrenzungsproblem” genannt, beschäftigt die Philosophie seit der Antike. Der letzte und allgemein anerkannte Ansatz ist das von Karl Popper formulierte Kriterium der Falsifizierbarkeit. Es besagt nichts anderes, als dass eine Theorie, die sich wissenschaftlich nennen will, zumindest im Prinzip empirisch (also durch weitere Nachforschungen und Experimente) widerlegt werden können muss. Wird eine Theorie so formuliert, dass keine Widerlegung denkbar ist oder sogar explizit ausgeschlossen wird, dann ist diese keine wissenschaftliche. Eine wissenschaftliche Theorie wird nach diesem Kriterium nicht nur durch stützende Nachweise als vorläufig korrekt anerkannt, sondern vor allem dadurch, dass sie Versuchen widersteht, durch gegenteilige Nachweise falsifiziert zu werden. Das Abgrenzungsproblem scheint also gelöst zu sein.
Nicht so schnell, sagt Massimo Pigliucci, Professor für Philosophie und Doktor der Biologie.
In der Praxis ist die Welt leider nicht so einfach. In der Realität geht kaum ein Wissenschaftler nach Poppers Philosophie vor. Niemand pickt sich aus der unendlich großen Menge der denkbaren Theorien eine heraus, führt ein Experiment durch, das die Theorie widerlegen könnte, und siebt so langsam die falschen Theorien aus, bis die korrekten übrigbleiben.
Weiterhin wird man aus vorherigen Beobachtungen induktiv eine neue Theorie formulieren, und durch eine mögliche Widerlegung wird man eine Theorie nicht sofort auf den Müll werfen, sondern versuchen, sie durch Verfeinerung zu retten. Ebenso sind viele Felder durch eine große Anzahl von Variablen derart komplex, dass es oft schwer ist zu entscheiden, ob ein negativer Ausgang eines Experiments wirklich eine Widerlegung der zugrundeliegenden Theorie darstellt oder nicht. Vielleicht war nur der Einfluss einer unkontrollierten Variable so groß, dass er das Ergebnis entscheidend verändert hat, obwohl die Theorie korrekt ist.
Desweiteren gibt es eine Reihe von relativ neuen Theorien, die zwar die sonstigen Kriterien der Wissenschaftlichkeit erfüllen, für die es jedoch bisher keine positiven Nachweise gibt (z. B. SETI), oder für die bisher kein praktikables Experiment zur Überprüfung (und damit zur potenziellen Falsifizierung) formuliert wurde (z. B. die Stringtheorie). Auch hier wäre die Einordnung in die Kategorie der nicht-Wissenschaften vorschnell.
Pigliucci zeigt also, dass es in der Realität eine Grauzone zwischen den Wissenschaften und den nicht-Wissenschaften gibt. Ein einfaches Kriterium wie die Falsifizierbarkeit reicht nicht aus, um eine Einteilung durchführen zu können.
Das Buch ist keinesfalls ein trockener philosophischer Diskurs. Pigliucci bleibt immer nahe an aktuellen Fragestellungen, um die Komplexität des Problems zu demonstrieren. Er veranschaulicht das mit den Themen SETI, Stringtheorie, Think Tanks, globale Erwärmung, Intelligent Design, Postmoderne Philosophie und Expertentum. Auch ein Abriss der Geschichte der Wissenschaft von der Antike bis zur Moderne fehlt nicht.
Wenn es etwas an dem Buch zu kritisieren gibt, dann sind das ein paar wenige, aber auffällige Wiederholungen. Ebenso hätte eine Reduzierung der Anzahl von geklammerten Nebenbemerkungen, geschätzt 1000 Stück auf gut 300 Seiten, dem Buch stilistisch gutgetan.
Wertung:
Als vertiefendes Material: