Dezember
2011
Beweis mir doch mal das Gegenteil! Oder: Die bequeme Umkehrung der Beweislast
Geschrieben von Michael Hohner am 1. Dezember 2011, 13:17:00 Uhr:
Der folgende Text wurde durch eine kürzliche Kommentardiskussion mit einem Troll inspiriert. Statt mich mit Trolls und deren Sockenpuppen herumzustreiten, stelle ich das Ganze lieber gleich als Blogpost online:
In Diskussionen über Alternativmedizin, über alle Formen von Übernatürlichem und dergleichen kommt schnell der Punkt, an dem die Verfechter solcher irrationaler Überzeugungen die Rationalisten auffordern:
Beweis mir doch mal, dass Akupunktur nicht funktioniert!oder
Beweis mir doch mal, dass diese Erscheinung kein Geist war!oder ähnliches.
Die Gründe, warum solche Aufforderungen abzulehnen sind, sind die folgenden: Beim Versuch eines solchen Beweises kommt man früher oder später an die Stelle, an der man die Nichtexistenz einer Sache beweisen müsste. Man müsste also zweifelsfrei nachweisen, dass z. B. das „Chi” oder eine „Lebensenergie” oder „Geister” nicht existieren und demzufolge die Grundlagen der davon abgeleiteten Behauptungen („Akupunktur funktioniert”, „Geisterscheinungen sind real”, usw.) fehlen. Das Problem ist, dass ein solcher Beweis (im Sinn einer mathematisch-logischen Exaktheit) nicht möglich ist. In den empirischen Wissenschaften kann man allenfalls starke und stärkste Indizien finden, die die Nichtexistenz einer Sache extrem wahrscheinlich erscheinen lassen, jedoch nicht in allerletzter Konsequenz beweisen. Der objektiven Wahrheit kann man sich bestenfalls stark annähern, aber sie nicht 100%ig beweisen. So bleibt dann auch immer Raum für Zweifel, wenn nötig geäußert mit Hilfe des Arguments der unbegründeten Ausnahme oder des persönlichen Unglaubens:
Gut, man hat zwar keine anatomischen Strukturen gefunden, die den Meridianen entsprechen. Aber Meridiane sind nicht anatomisch sichtbar. Das Chi fließt anders.
Geister sind technisch nicht messbar.
Du hast zwar gezeigt, dass laut dieser (hochqualitativen) Studie Methode X unwirksam ist, aber das heißt ja nicht, dass das in einer anderen Bevölkerung auch so wäre.
Gut, diese Wünschelrutengänger beherrschen ihr Handwerk nicht, aber ich kenne einen, der kann das.
Dieser Studie glaube ich nicht.
Was jedoch beweisbar ist, ist die Existenz einer Sache. Wenn eine Sache existiert, dann ist es in der Regel auch einfach, starke Indizien dafür zu finden, auch für Esoteriker. Insbesondere kann auch gezeigt werden, dass davon abgeleitete Methoden tatsächlich funktionieren.
Was aber meistens passiert, ist dass Esoteriker starke und stärkste Indizien gegen ihre postulierten Phänomene ohne gute Begründung ablehnen und stattdessen von ihren Argumentationsgegnern das Unmögliche verlangen, nämlich den endgültigen Beweis einer Nichtexistenz. Umgekehrt akzeptieren sie selbst schwächste Indizien (unkontrollierte, kleine Studien, Anekdoten, „habe ich selbst gesehen”), solange diese nur ihre eigenen Überzeugungen bestätigen.
Auf eine solche bequeme Umkehrung der Beweislast sollten sich Rationalisten nicht einlassen. Es wäre vergebliche Mühe. Nach wie vor sollte gelten: Wer außergewöhnliche Behauptungen aufstellt, muss auch selbst außergewöhnliche Nachweise dafür liefern. Wer also weiter behaupten will, dass bei Vollmond die Geburtenrate steigt, obwohl es dafür keinen plausiblen Mechanismus gibt, und obwohl konkrete Nachforschungen dies nicht bestätigen konnten, muss dies auch anhand von aussagekräftigen Daten belegen. Blumig formulierte Ausflüchte, eine größere Anzahl an Konjunktiven und ein „glaub ich nicht” reichen dafür nicht aus.
Übrigens halte ich einen unsichtbaren Wolpertinger als Haustier. Unglaubwürdig? Beweis mir doch mal das Gegenteil!
Vertiefendes Material: