März
2011
P. M. beißt sich die Zähne aus
Geschrieben von Michael Hohner am 18. März 2011, 20:48:25 Uhr:
„10 Fragen, an denen sich die Wissenschaft die Zähne ausbeißt” titelte gerade sensationsheischend das P. M.-Magazin. Und das erste unlösbare Rätsel lautet „Wie wirkt Homöopathie?”
Es wird kurz beschrieben, wie Madeleine Ennis einen Laborversuch mit homöopathisch verdünnten Histaminlösungen durchführte.[1] Da nach der Verdünnung kein Histamin mehr vorhanden ist, sollte darauf auch keine Reaktion bei weißen Blutkörperchen erfolgen, anders als bei Lösungen mit normaler Histaminkonzentration. Sie fand aber, dass die Basophilen trotzdem reagierten. Hat sie die Wirksamkeit homöopathischer Verdünnungen nachgewiesen? Müssen tatsächlich „… die Physik und Chemie in gewissen Bereichen umgeschrieben werden”, wie P. M. Ennis zitiert?
Wie kann das sein, dass homöopathische Verdünnungen (sprich: Wasser) eine andere Wirkung als ein Placebo (sprich: Wasser) haben, wenn doch Zellen in einer Petrischale bestimmt keine Erwartungshaltung einer Behandlung gegenüber haben können und der Placeboeffekt als Erklärung ausgeschlossen werden kann[2]? Zehn Jahre ist die Studie nun alt, und das Mysterium ist ungelöst. Oh, wenn doch nur jemand den Versuch wiederholen würde!
… aber Moment, was ist das denn:
Replication study concerning the effects of homeopathic dilutions of histamine on human basophil degranulation in vitro.[3]
Schon vor 6 Jahren wurde versucht, das Ergebnis zu reproduzieren, und es ist nicht gelungen:
CONCLUSION: We were not able to confirm the previously reported large effects of homeopathic histamine dilutions on basophil function of the examined donor. Seemingly, minor variables of the experimental set up can lead to significant differences of the results if not properly controlled.
Der Versuch von Brown und Ennis ist also nur eine von 90% aller Veröffentlichungen: Der Effekt verschwindet beim Versuch der Reproduktion oder bei genauerer Kontrolle der begleitenden Faktoren. Das ist wenig überraschend. Pilotstudien sind tendenziell klein, und auf Verblindung und Randomisierung wird weniger streng geachtet, falls überhaupt vorhanden. Wird eine Studie unabhängig wiederholt, dann werden die ursprünglich beschriebenen Materialien, Aufbauten usw. verwendet. Die nicht beschriebenen Nebenfaktoren sind jedoch in der Regel andere. Wenn sich dennoch vergleichbare Ergebnisse einstellen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die beschriebenen Faktoren tatsächlich die entscheidenden sind, andernfalls waren es wohl eher die Nebenbedingungen.
Versuche, einen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie anhand von Gewebsversuchen zu führen, sind nichts neues. Am bekanntesten dürfte die Studie von Benveniste[4] sein. Auch da ließen sich die Ergebnisse nicht unabhängig reproduzieren. Weil die Veröffentlichung damals jedoch in Nature erfolgte, einem der renommiertesten Magazine überhaupt, landete die Studie nicht einfach auf dem Müllhaufen der Wissenschaftsgeschichte. Stattdessen wurde Benvenistes Versuchsaufbau genauer untersucht. Es stellte sich dann heraus, dass die Verblindung mangelhaft war: Die Mitarbeiterin, die die Reaktion des Gewebes beurteilen sollte, wusste genau, welche Probe mit dem Verum behandelt wurde und welche mit dem Placebo. Sie hat dann tendenziell und unbewusst das Verum als wirksamer beurteilt. Nachdem man eine vernünftige Verblindung hergestellt hatte, konnte das Ergebnis auch in Benvenistes Labor nicht mehr reproduziert werden.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und eine Pilotstudie ist noch kein Beweis für eine Theorie. Und ein Anlass, die Grundlagen von Physik und Chemie umzuschreiben schon gar nicht. Reproduzierbarkeit und Stabilität der Ergebnisse sind der Schlüssel.
Dass Ennis' Versuch auch kein Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie ist, weil er schlicht nicht den Grundregeln der Homöopathie entspricht, ist P. M. auch nicht aufgefallen. Nach diesen hätte die Aktivität der Basophilen nach Gabe des Homöopathikums sogar angeregt werden müssen statt sie zu dämpfen. Vielleicht war das ja die Anfangsverschlimmerung. Und wie die erforderliche ausführliche Erstanamnese von weißen Blutkörperchen aussehen mag, kann ich mir auch nicht recht vorstellen.
Die Welt ist schon geheimnisvoll, liebes P. M., aber viele Geheimnisse lassen sich aufklären, wenn man nicht zu faul ist für 5 Minuten Recherche in frei zugänglichen Datenbanken! Wie gut mögen wohl die anderen Stories recherchiert sein? Beim Thema „Arsen-Bakterien” hat P. M. den Schuss offenbar auch nicht gehört, und die Andeutungen in Richtung „Planet X” lassen nichts Gutes ahnen.
- Brown, Ennis (2001): Flow-cytometric analysis of basophil activation: inhibition by histamine at conventional and homeopathic concentrations. Inflamm. Res.
- … was so auch nicht stimmen würde, denn Placeboeffekte kann es beim Durchführenden des Versuchs geben.
- Guggisberg et. al. (2005): Replication study concerning the effects of homeopathic dilutions of histamine on human basophil degranulation in vitro. Complement Ther Med.
- Benveniste et. al. (1988): Human basophil degranulation triggered by very dilute antiserum against IgE. Nature