RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

22.
Juli
2011

Fehlschluss #11: Popularitätsargument

Geschrieben von Michael Hohner am 22. Juli 2011, 14:33:35 Uhr:

Sehr weit verbreitet ist das Argument der Form

Die Ansicht A ist weit verbreitet, deshalb ist sie richtig.

Konkreter, z. B. in der Alternativmedizin, ist dieses Argument

Das Mittel oder Verfahren wird von vielen angewendet, also ist es wirksam.

Diesem Fehlschluss liegt die Annahme zugrunde, dass etwas, was so verbreitet ist, ja nicht falsch sein kann. Wirksamkeit von z. B. Medizin wird aber nicht durch Beliebtheit ermittelt, sondern durch klinische Prüfungen, epidemiologische Studien, etc. Die Medizingeschichte ist voll von Methoden, die äußerst beliebt waren und sich auch lange gehalten haben, die sich bei genauerer Prüfung aber doch als wirkungslos oder sogar schädlich herausgestellt haben. Paradebeispiel ist der Aderlass, der über Jahrhunderte bei einer großen Anzahl von Krankheiten praktiziert wurde, der aber wahrscheinlich keinem Patienten jemals geholfen, aber in einigen Fällen wohl sogar das Leben gekostet hat.[1]

Das Popularitätsargument belegt nichts, außer dass die beschriebene Ansicht eben weit verbreitet ist. Wer alleine mit Popularität argumentiert, sagt letztlich nur „eine Million Fliegen können nicht irren”.

Wissenschaftlicher Konsens

Wenn in einer Diskussion die Sprache auf den wissenschaftlichen Konsens kommt, dann hört man oft, dass dieser doch auch nur ein Popularitätsargument sei und damit keinen guten Beleg darstelle. Da gibt es jedoch ein paar entscheidende Unterschiede:

  1. Der Konsens wird nicht durch eine Abstimmung über pure Meinung ermittelt. Er stützt sich auf Sachbelege. Wer nicht auf den Konsens verweisen will, kann sich stattdessen auf die zugrundeliegenden Belege stützen. Beim klassischen Popularitätsargument dagegen fehlen auch die Sachbelege, oder sie sind unzureichend.
  2. Der Konsens wird nicht von der Allgemeinheit bestimmt, sondern von Experten im jeweiligen Fachgebiet. Diese sind am ehesten in der Lage, die Sachbelege zu verstehen und zu bewerten. Sie wissen um die Beweiskraft der Belege, und auch um die vielen Wege, wie schwache Belege eine Beweiskraft nur vortäuschen können.

  1. Prominentester Fall ist der von George Washington. Während einer schweren Erkältung wurde ihm durch wiederholte Aderlässe beinahe die Hälfte seines Blutes abgezapft, wodurch er am Ende geschwächt und dehydriert starb.