März
2010
Verfassungsbeschwerde gegen LHC abgelehnt
Geschrieben von Michael Hohner am 9. März 2010, 18:41:20 Uhr:
Das Bundesverfassungsgericht ist die höchste juristische Instanz in der Bundesrepublik und prüft normalerweise Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Die Entscheidungen des Gerichts haben höchste Tragweite und weisen regelmäßig den Gesetzgeber in seine Schranken.
Zuweilen muss sich dieses Gericht aber auch mit abstrusen Dingen herumschlagen. So wurde bereits am 18. Februar eine Beschwerde abgelehnt, wonach die Bundesrepublik gegen die Versuche am LHC des CERN einschreiten sollte. Aus der Pressemeldung von heute:
Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.[1] Die Bundesrepublik Deutschland sei wegen ihrer Beteiligung an "CERN" von Verfassungs wegen verpflichtet, auf diese Organisation einzuwirken, um die bei der Versuchsreihe eingesetzte Energie auf ein unbedenkliches Maß zu beschränken. Dies gelte jedenfalls solange, wie die Warnung, die Erde könne zerstört werden, nicht empirisch widerlegt sei.
Die Klägerin verlangt doch tatsächlich das Unmögliche, nämlich ein Negativum zu beweisen. Es ist schon rein logisch nicht möglich zu beweisen, dass etwas nicht geschieht. Genausogut könnte man verlangen, dass die Herstellung von Wackelpudding verboten wird, bis nachgewiesen ist, dass Wackelpudding einem nicht zwei Köpfe wachsen lässt.
Abgesehen von diesem logischen Problem hätte sich die Klägerin vorher wenigstens minimal in die Thematik einlesen sollen. Dann hätte sie einschätzen können, ob eine Gefahr durch den LHC wenigstens plausibel ist oder nicht. Hätte sie das gemacht, wäre sie auf folgende Fakten gestoßen:
- Die natürlich vorkommende Höhenstrahlung enthält Teilchen mit bis zu 107 TeV[2] (= 1019 eV) Energie.
- Der LHC ist für Energien von bis zu 14 TeV konzipiert, und derzeit werden bis zu 7 TeV auch erreicht.
- Die Höhenstrahlung bombardiert die obere Atmosphäre der Erde, seit diese existiert, und zwar 24 Stunden am Tag, mit Milliarden Kollisionen am Tag.
- Die theoretisch möglichen entstehenden Schwarzen Mikro-Löcher sind so massearm, dass sie innerhalb kürzester Zeit durch die Hawking-Strahlung wieder „verdunsten” würden.
Obwohl die Natur also seit über 4 Milliarden Jahren mit Teilchen mit millionenfacher Energie die Erde bombardiert, existiert diese heute noch. Sollten dabei tatsächlich Schwarze Löcher erzeugt werden, dann sind sie bisher noch nicht entdeckt worden, und sie wären ohnehin sofort wieder verschwunden.
Oder um es anders auszudrücken: Der LHC operiert bereits auf einem unbedenklichen Energieniveau.
Das Bundesverfassungsgericht beweist in der Begründung der Ablehnung sogar naturwissenschaftlichen Sachverstand:
Ein schlüssiger Vortrag der Beschwerdeführerin, der von ihr befürchtete Schaden werde eintreten, fehlt. Für die Darlegung der Möglichkeit eines solchen Schadenseintritts genügt es insbesondere nicht, Warnungen auf ein generelles Misstrauen gegenüber physikalischen Gesetzen, also gegenüber theoretischen Aussagen der modernen Naturwissenschaft zu stützen. Praktisch vernünftige Zweifel setzen wenigstens die Auseinandersetzung mit Gegenbeispielen, also Widerlegungsversuchen der jeweiligen Aussagen voraus.
Und:
Namentlich im Bereich der theoretisch weit fortgeschrittenen Naturwissenschaften erfordern vernünftige Zweifel zudem ein hinreichendes fachliches Argumentationsniveau. Dabei kann man sich nicht wie die Beschwerdeführerin auf solche Hilfserwägungen beschränken, die ihrerseits mit dem bewährten, anerkannten Hintergrundwissen des jeweiligen Faches in Widerspruch stehen und nach ihrem eigenen Vortrag bislang weder wissenschaftlich publiziert, noch auch nur in Umrissen theoretisch ausgearbeitet sind.
Auch das kreisförmige Argument der Klägerin wurde durchschaut:
Ebensowenig reicht es für einen schlüssigen Vortrag aus, dass die Beschwerdeführerin Schadensereignisse als mögliche Folge der Versuchsreihe ankündigt und diese Ankündigung damit zu begründen sucht, dass sich die Gefährlichkeit der Versuchsreihe eben in den von ihr für möglich gehaltenen Schadensereignissen manifestiere.
Das Gericht merkte auch an, dass es nicht dafür zuständig ist, die Risikobewertung der Exekutive zu überstimmen:
Es ist nicht Sache der gerichtlichen Kontrolle, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen.
Folgerichtig hat das Gericht es abgelehnt, die Beschwerde überhaupt zur Entscheidung anzunehmen. Das Urteil der untergeordneten Instanz gilt.
Abgesehen von den sachlichen Problemen wäre es überhaupt fraglich gewesen, ob eine Entscheidung eines deutschen Gerichts irgendeinen Einfluss auf eine Einrichtung auf schweizer Boden gehabt hätte. Auch in den USA wurden ähnliche Klagen mit dieser Begründung bereits abgelehnt.
Wieder mal wurde mit gefährlichem Halbwissen Zeit und Geld unserer Gerichte verschwendet.