Oktober
2009
10 Spinnen-Mythen
Geschrieben von Michael Hohner am 27. Oktober 2009, 19:55:18 Uhr:
Spinnen sind eine hochinteressante und nützliche Tiergruppe, und dennoch finden viele Leute Spinnen ekelig oder haben sogar Angst vor ihnen. Dementsprechend kursieren auch eine Menge moderner Legenden und Fehlinformationen in der Öffentlichkeit.
Hier sind zehn Mythen über Spinnen:
Mythos #1: Es gibt nur wenige „Giftspinnen”
Der Begriff „Giftspinnen” wird in der Fachwelt nicht verwendet. Das ist nicht sinnvoll, denn von den mittlerweile über 4100042000 bekannten Spinnenarten besitzen fast alle Arten Giftdrüsen. Spinnen leben räuberisch und brauchen das Gift, um ihre Beute zu lähmen oder zu töten. Nur 353ca. 260 Arten, die der Familien Uloboridae und Liphistiidae, besitzen keine Giftdrüsen.
Hier sind wohl eher Spinnen gemeint, die dem Menschen gefährlich werden können. Dies sind in der Tat nur sehr wenige Arten, die man an zwei Händen abzählen kann. Die meisten anderen Arten sind zu klein oder zu schwach, um die menschliche Haut überhaupt durchbeißen zu können, und das Gift der meisten Arten ist ohnehin zu schwach, um nennenswerte Reaktionen beim Menschen hervorzurufen. In Mitteleuropa gibt es nur zwei (recht seltene und versteckt lebende) Arten, die unangenehme Bisse austeilen können, und richtig gefährliche Arten gibt es gar keine.
Mythos #2: Man schluckt im Leben versehentlich etwa 10 Spinnen
Die Anzahl schwankt bei dieser modernen Legende. Mal sind es 10, mal 3, mal 6. Wie bei allen modernen Legenden wird diese von Mund zu Mund weitergetragen, jedoch wird sie nie belegt. Tatsächlich ist mir keine wissenschaftliche Arbeit bekannt, die dieses Thema untersucht hat. Die Vorstellung, dass man eine Spinne aus Versehen, z. B. im Schlaf, verschlucken könnte, ist auch wenig plausibel.
Die meisten Spinnen können nicht besonders gut sehen. Sie haben jedoch extrem empfindliche Sinnesorgane, die feinste Vibrationen und Luftschwingungen wahrnehmen können. Sollte sich eine Spinne einmal dem Mund eines schlafenden Menschen nähern, dann würde sie dessen Atmung sofort registrieren und die Flucht ergreifen. Eine Spinne würde nie auf die Idee kommen, den geöffneten Mund eines Tieres zu betreten, so dass auch die Möglichkeit des versehentlichen Verschluckens nicht besteht.
Mythos #3: Spinnenweibchen fressen bei der Paarung immer die Männchen
Die Paarung ist bei räuberischen und gleichzeitig nicht besonders intelligenten Tieren natürlich eine diffizile Angelegenheit. Sie endet jedoch für die meisten Spinnenmännchen glimpflich.
Die erste Aufgabe des Männchens ist es, sich durch Klopfen am Boden, durch Zupfen am Netz oder durch Winken gegenüber dem Weibchen als passendes Männchen zu identifizieren statt als Beute. Passiert hier ein Fehler, dann kann das Weibchen zum Angriff übergehen. Ist diese Hürde jedoch überwunden, dann kann die Paarung erfolgen. Bei den meisten Arten erfolgt diese ohne Zwischenfälle, und das Männchen entfernt sich danach mehr oder weniger schnell, bevor das Weibchen es sich nochmal anders überlegt. Bei einigen Arten leben Männchen und Weibchen sogar längere Zeit gemeinsam in einem Netz oder Bau, ohne dass das Männchen verspeist wird.
Nur bei wenigen Arten leben die Männchen bei der Paarung besonders gefährlich. Auch bei der berüchtigten Schwarzen Witwe entfernt sich das Männchen meist ohne Schaden. Diese Art trägt ihren Namen also zu Unrecht. Hierzulande ist die auffällige Wespenspinne Argiope bruennichi eher ein „Männchenfresser”. Hier greift das Weibchen nach der Paarung besonders häufig zu, und das Männchen trägt nicht nur durch seine DNS zum Nachwuchs bei, sondern auch durch die Nährstoffe seines Körpers.
Mythos #4: Spinnfäden sind fester als Stahl
Diese Behauptung wird bevorzugt dann aufgestellt, wenn wieder einmal über ein neues Forschungsergebnis zu Spinnenseide berichtet wird. Tatsächlich sind die Fäden einiger Arten besonders fest. In der Fachliteratur wird eine Zugfestigkeit von ca. 1000 MPa angegeben. Das ist deutlich mehr als die anderer Naturmaterialien wie Zellulose, Knochen oder Sehnen. Die Zugfestigkeit von modernem Stahl ist jedoch etwa doppelt so hoch.
Erst wenn man die Zugfestigkeit mit dem Eigengewicht ins Verhältnis setzt, übertrifft Spinnseide modernen Stahl. Ein Spinnfaden müsste erstaunliche 80 km lang sein, um unter seinem eigenen Gewicht zu reißen.
Mythos #5: Spinnfäden trocknen an der Luft
Spinnseide wird in den Spinndrüsen in flüssiger Form produziert. Einmal gesponnen ist die Seide jedoch fest. Oft wird behauptet, dass die Seide durch den Kontakt mit der Luft trocknet und so fest wird. Das ist nicht der Fall.
Die Wahrheit ist viel erstaunlicher. Tatsächlich ist Spinnseide ein Gemisch verschiedener Proteine. Einige davon sind faserig, andere können kristallisieren. Ein fertiger Faden ist eine Kette fester Proteinkristalle, die durch flexible Proteine verbunden sind. Die Kristallisation erfolgt nicht durch den Kontakt mit der Luft. Dies würde auch zu lange dauern, und eine Spinne könnte sich nie an einem Faden schnell abseilen. Der Vorgang wird stattdessen alleine durch den mechanischen Zug am Faden ausgelöst.
Mythos #6: Spinnen legen ihre Eier in die menschliche Haut
Dieser Mythos hat seinen Ursprung wohl in der Schauergeschichte „Die Schwarze Spinne”. Diese ist jedoch eine reine Erfindung. Keine Spinnenart hat einen Legestachel, mit dem manche Insekten ihre Eier in Pflanzen, im Boden oder in anderen Tieren ablegen. Desweiteren ernähren sich auch keine Spinnen nach dem Schlüpfen von ihrer Umgebung, anders als z. B. Maden. Alle Spinnen legen ihre Eier in einem Kokon ab, und nach dem Schlupf leben die Jungspinnen eine zeitlang vom Eidotter und ernähren sich danach entweder sofort räuberisch oder fressen mit an der Beute der Mutter.
Mythos #7: Spinnen sind nicht gefährdet
Eine weitläufige Meinung ist, dass Spinnen in Mitteleuropa häufig und ungefährdet sind. Das gilt sicher für viele der häufigen Arten.
Es gibt jedoch auch ausgesprochene Spezialisten mit besonderen Lebensraumansprüchen, und diese und einige weitere sind durchaus gefährdet. In Deutschland sind etwas mehr als 1000 Arten nachgewiesen. Davon sind alleine in Bayern mehr als 300 Arten in der Roten Liste in den Kategorien 3 („gefährdet”) bis 1 („vom Aussterben bedroht”) aufgelistet.
Mythos #8: Weberknechte sind auch Spinnen
Weberknechte zählen zwar zu den Spinnentieren (Klasse Arachnida), jedoch nicht zu den Webspinnen (Ordnung Araneae). Weberknechte bilden ihre eigenen Ordnung (Opiliones) in der Klasse der Spinnentiere.
Die Hauptunterschiede zu den echten Spinnen sind der nur einteilige Körperbau (Spinnen haben zwei Körpersegmente), die nur zwei Augen, die Unfähigkeit, Spinnseide zu produzieren, die fehlenden Giftklauen und die Fortpflanzungsorgane und -strategien. Tatsächlich sind Weberknechte Skorpionen und Krabben ähnlicher als Spinnen.
Mythos #9: Alle Spinnen haben 8 Augen
Die meisten Arten haben zwar 8 Augen, aber bei weitem nicht alle. Eine recht große Anzahl von Arten hat nur 6 Augen, darunter auch die in Gebäuden allgegenwärtigen Zitterspinnen. Eine Reihe weiterer Arten, insbesondere solche, die in Höhlen oder deren Eingangsbereichen leben, haben noch weniger Augen, nämlich 4 oder 2. Extreme Spezialisten tief im Innern von Höhlen kommen sogar ganz ohne Augen aus, denn in ihrem Lebensraum gibt es ohnehin kein Licht. Sie orientieren sich alleine mit ihrem Tastsinn und anhand von Luftströmungen und -schwingungen.
Mythos #10: Vogelspinnen fressen auch Vögel
Vogelspinnen (Familie Theraphosidae) haben ihren deutschen Namen durch eine alte Illustration erhalten, die eine solche Spinne neben einem Vogel darstellt. Diese Spinnen fressen jedoch keinesfalls Vögel.
Vogelspinnen sind Boden- und Baumbewohner und bauen keine Fangnetze. Sie sind also schon deswegen nicht in der Lage, Vögel zu fangen. Wie bei den meisten Spinnen besteht ihre Nahrung hauptsächlich aus Insekten. Nur die größeren Arten erbeuten auch kleinere Säuger (Nager), Reptilien und Fische.
Literatur:
- Bellmann, Heiko (2001): Kosmos-Atlas Spinnentiere Europa. Franckh-Kosmos Verlag, 2. Auflage, ISBN 3-440-09071-X, 304 S.
- Foelix, Rainer F. (1996): Biology of Spiders. Oxford University Press, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, ISBN 0-19-509594-4, 330 S.
- Jocqué, Rudy & Dippenaar-Schoeman, Ansie (2007): Spider Families of the World. Royal Museum for Central Afrika, 2. Auflage, ISBN 978-90-74752-11-4, 336 S.