RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

20.
September
2012

Deutschland braucht kein Blasphemie-Strafrecht

Geschrieben von Michael Hohner am 20. September 2012, 19:36:21 Uhr:

Als vor einigen Wochen die Satirezeitschrift „Titanic” ein Bild der Papstes mit eingepinkelter Soutane zeigte, war schnell der Bamberger Erzbischof Schick zur Stelle und forderte ein Strafrecht, dass Blasphemie verfolgen sollte. Und in den letzten Tagen, da in der arabischen Welt wieder einmal gegen Karikaturen und Filme sturmgelaufen wird, wiederholen die CSU-Politiker Johannes Singhammer und Horst Seehofer ähnliche Forderungen.

Derartige Forderungen sind nicht nur unnötig, sondern auch für diejenigen selbst nicht hilfreich, die die Forderungen stellen. Für unser freiheitliches Rechtssystem wäre ein Blasphemieparagraph zudem rechtlich bedenklich.

Aber im Einzelnen:

Rechtlich problematisch wäre die Verfolgung von Blasphemie, weil das eigentliche Opfer, nämlich die Gottheit oder die Religion, als juristische Person überhaupt nicht existiert. Diejenigen, die ein Blasphemiestrafrecht fordern oder eine „Verletzung ihrer religiösen Gefühle” beklagen, sind nämlich nie das Ziel von Blasphemie, sondern nur am Rande beteiligte Dritte. Blasphemie, also Gotteslästerung, ist juristisch gesehen ein Verbrechen ohne Opfer. Wenn Person A schlecht über Person B redet, dann kann Person C darüber empört sein, kann aber ebenso wenig eine Bestrafung von A verlangen. Das könnte höchstens Person B.

Im Fall des „Titanic”-Titelbilds wird außerdem deutlich, dass ein neues Strafrecht gar nicht notwendig ist. Es wurde nämlich faktisch keine Religion oder Gottheit beleidigt, sondern eine Person, nämlich der Papst. Dieser hatte dann auch kein Problem, eine einstweilige Verfügung gegen „Titanic” zu erwirken, mit Hilfe existierender Gesetze, die einen Ausgleich schaffen sollen zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf Schutz des persönlichen Ansehens. Ob dieser Schritt klug und angebracht war, das sei dahingestellt, neue Strafgesetze waren dazu jedenfalls nicht vonnöten.

Zum Weiteren wäre im Fall eines Strafgesetzes der Staat eventuell von sich aus verpflichtet, entsprechende Taten zu verfolgen. Die Exekutive und Judikative müssten sich dann auf das Glatteis begeben, jegliche Handlung oder Meinungsäußerung daraufhin zu überprüfen, ob sie nun eine Gotteslästerung darstellen oder nicht. Bei der Fülle an religiösen Vorschriften in der Welt, die sich unvermeidbar auch noch widersprechen (was in der einen Religion ein Gebot ist, ist in einer anderen ein Verbrechen), wären die absurdesten Urteile vorprogrammiert. Es gibt schlicht keinen allgemeinen Konsens darüber, was Blasphemie ist und was nicht. Der Staat kann sich nicht als Interpreter religiöser Vorschriften einspannen lassen.

Erzbischof Schick beeilte sich zwar anzumerken, dass ein Blasphemiestrafrecht natürlich nicht nur Blasphemie gegen das Christentum sanktionieren sollte, sondern auch gegen andere Religionen. Damit wollte er wohl Bedenken im Voraus begegnen, dass ein auf wenige Religionen begrenztes Gesetz dem Gleichbehandlungsgrundsatz unseres Rechtssystems widersprechen würde. Dies rückt ihn allerdings sofort selbst ins Fadenkreuz eines Blasphemiestrafrechts. Denn so beliebig wie die tausenden Facetten aller Religionen sind, hindert niemanden etwas daran, eine neue Religion zu gründen, in der das Tragen schwarzer Kleidung den Göttern vorbehalten ist. Ein Mensch, der schwarze Kleidung trägt, würde sich somit auf die gleiche Stufe stellen wie die Götter und damit Blasphemie begehen. Nach der Logik eines Strafrechts gegen Gotteslästerung müsste dann der Staat den Erzbischof Schick einer Bestrafung zuführen. Denn kann der Staat entscheiden, welche Religionen und deren Vorschriften „ernstgemeint” sind? Anhand welcher objektiven, nicht-diskriminierenden Kriterien könnte der Staat feststellen, ob eine religiöse Vorschrift nur „ausgedacht” oder tatsächlich göttlichen Ursprungs ist? Er könnte es nicht, und er sollte es nicht. Selbst ein weniger konstruiertes Beispiel würde ein Blasphemiestrafrecht gegen Schick selbst wenden: Fundamentalisten seiner eigenen Religion könnten sich auf absurde Verbote des alten Testaments (und davon gibt es reichlich) berufen, gegen die Schick mit hoher Wahrscheinlichkeit verstößt, und eine Bestrafung des Bischofs verlangen. Mit Strafgesetzen gegen Blasphemie würde die Strafverfolgung so willkürlich wie die Religionen, die sie schützen sollen.

Es hat schon seine Richtigkeit, dass das deutsche Recht seit 1969 keinen Blasphemieparagraphen mehr enthält[1]. Der Staat sollte sich aus der Interpretation von Religion heraushalten. Gläubige müssen es in einer freiheitlichen Demokratie einfach aushalten, wenn jemand ihren unsichtbaren Freund angeblich beleidigt. Sind sie dagegen selbst direkt betroffen, dann bieten unsere Gesetze bereits Mittel, ihre Rechte zu wahren und gegen die Rechte anderer abzuwägen.


  1. Der Paragraph 166 StGB ist seitdem kein Blasphemieparagraph mehr in diesem Sinn, da letztlich nicht die Lästerung selbst oder die vielzitierte „Verletzung religiöser Gefühle” unter Strafe gestellt wird, sondern die Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Dementsprechend zurückhaltend sind deutsche Gerichte auch bei Anwendung dieser Strafvorschrift.