RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

12.
April
2012

Macht Homöopathie Kinder?

Geschrieben von Michael Hohner am 12. April 2012, 07:57:31 Uhr:

Wir befinden uns ja immer noch in der „Woche der Homöopathie”, also wollen wir mit der Bewusstseinsschaffung fortfahren. Bei der hierzulande von der VKHD promoteten Veranstaltung geht es in diesem Jahr um das Thema „Homöopathie bei unerfülltem Kinderwunsch”. Der VKHD schreibt dazu enthusiastisch:

Homöopathie kann, v.a. bei hormonellen und idiopathischen (ohne erkennbare) Ursachen der Unfruchtbarkeit, erfolgreich eingesetzt werden.

Hmm, „kann eingesetzt werden” ist Wieseldeutsch für „… muss aber nicht nachweislich helfen”.

Die Belege

Der VKHD zitiert als Beleg in seinem Promotext exakt eine Studie.[1] Was genau steht in dieser Studie?

Zunächst ist es interessant, sich den Studienaufbau anzusehen: Es handelt sich um eine prospektive Beobachtungsstudie. Das heißt nichts anderes, als dass recht laxe Anforderungen gestellt werden. Üblicherweise findet weder eine Verblindung noch eine Randomisierung noch eine Plazebokontrolle statt. Eine Beobachtungsstudie ist genau das, was der Name sagt: Daten von Patienten während einer Behandlung werden erfasst, und es wird nach Korrelationen zwischen den Daten und dem Behandlungsergebnis gesucht. Ein gezieltes Experiment findet nicht statt. Eine Schlussfolgerung, dass eine bestimmte Behandlung – und nur diese Behandlung – zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat, ist dabei prinzipiell nicht möglich.

Was wurde in der Studie untersucht?

Es wurden 45 Männer in der Behandlung wegen Unfruchtbarkeit beobachtet. Die Zielvariablen waren die Spermienzahl und die Beweglichkeit der Spermien. Alle Probanden erhielten eine homöopathische Behandlung. Die Beobachtungsdauer war im Schnitt 10,3 Monate.

Was wurde gefunden?

Zunächst fand man allerlei Korrelationen zwischen Ausgangsvariablen und Behandlungserfolg. Auf Erfolg konnte hoffen, wer wenig Alkohol trank, nicht rauchte, wenige Amalgamfüllungen hatte, mit keinen giftigen Substanzen am Arbeitsplatz in Kontakt kam und keine vorhergehende Entzündung der Fortpflanzungsorgane vorzuweisen hatte. Nicht relevant für die Verbesserung der Zielwerte dagegen waren großer Stress, hohes Alter, hoher Kaffeekonsum und lange ungewollte Kinderlosigkeit. Soweit hat die Studie also nur das Offensichtliche herausgefunden.

Weiterhin kam man zum Ergebnis, dass die Verbesserung der Zielwerte vergleichbar sind mit der bei konventioneller Behandlung. Zahlen werden im Abstract nicht genannt.

Was sagt die Studie also aus?

Im Grunde nichts. Wurde die Verbesserung durch die homöopathische Behandlung erreicht? Man weiß es nicht, denn einen Vergleich mit einer Kontrollgruppe gab es ja nicht. Es ist durchaus denkbar, dass die Männer durch die bewusste und intensive Auseinandersetzung mit ihrem Lebensstil und ihrer Allgemeingesundheit (Alkohol, Rauchen, etc.) diese so weit verbessert haben, dass sich auch ohne Homöopathie ihre Werte verbessert hätten.

Weitere Kritikpunkte:

  • Die Verbesserung der Zielwerte ist „vergleichbar” mit der konventioneller Behandlung. Was genau heißt das? Wie groß war die Verbesserung absolut? Ist die Änderung statistisch signifikant, und ist die Größe der Änderung klinisch relevant? Mit welcher Art von konventioneller Behandlung wurde verglichen? Das Abstract schweigt sich aus.
  • Man beachte auch, dass nicht ermittelt wurde, ob die Probanden am Ende tatsächlich Kinder gezeugt haben. Zielwert war nicht die Anzahl der erfolgreichen Zeugungen, sondern nur Laborwerte.
  • Die Anzahl der Probanden ist relativ klein, d. h. die Anfälligkeit für den puren Zufall ist hoch.
  • Randomisierung: Fehlanzeige, und mangels Kontrollgruppe auch wenig sinnvoll.
  • Verblindung: doppelte Fehlanzeige.

Derartige Studien sind nicht geeignet, um die Wirksamkeit einer Behandlung zu belegen. Prospektive Studien werden durchgeführt, um mit vertretbarem Aufwand die Variablen, Prozeduren und Zielparameter für eine richtige Studie zu ermitteln. Diese wäre dann randomisiert, doppelt verblindet, plazebokontrolliert und möglichst groß, und nur damit könnte man dann vorsichtig eine Wirksamkeit oder Unwirksamkeit belegen. Die Autoren schlagen selbst eine derartige Studie vor. Durchgeführt haben sie sie offensichtlich nicht.

Und bei Frauen?

Der Begleittext im PDF zitiert eine weitere Studie, die mit Frauen durchgeführt wurde.[2] Diese Studie war sogar randomisiert, doppelt verblindet und plazebokontrolliert. 67 Frauen mit Ovulationsproblemen erhielten entweder die Zubereitung Phyto Hypophyson L oder ein Plazebo. Wie nicht anders zu erwarten, zeigte die Studie ein für die Homöopathie scheinbar genehmes Ergebnis. Nur leider ergeben sich bei genauerem Hinsehen ein paar Probleme:

  • Die Frauen in der Verumgruppe wurden zwar häufiger schwanger als die der Kontrollgruppe. Der Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant! Mit anderen Worten, der Unterschied konnte genauso durch Zufall entstanden sein.
  • Das untersuchte Mittel ist eine Mischung aus drei Zubereitungen mit den relativ geringen Verdünnungsstufen D5. Dieses Mittel enthält also durchaus noch wirksame Substanzen und dürfte für einen klassischen Homöopathen kaum die Bezeichnung „homöopathisch” verdienen.

Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie ein eigentlich negatives Ergebnis (keine signifikante Änderung, falsches Mittel getestet) in ein positives Ergebnis („Homöopathie funktioniert”) umgedichtet werden soll.

Andere Studien mit Phyto Hypophyson L: Fehlanzeige.

Fazit

Auch beim Problem der Unfruchtbarkeit kann man leicht einen tatsächlichen Behandlungserfolg mit einem Erfolg durch die Rückkehr zum Normalzustand verwechseln. Männer mit geringer Spermienzahl können durchaus Kinder zeugen, wenn sie es lange genug versuchen, ebenso können Frauen mit gestörter Ovulation durchaus schwanger werden. Wenn man nach vielen Monaten schließlich bei „alternativen” Methoden gelandet ist und sich nach weiteren Monaten endlich eine Schwangerschaft eingestellt hat, dann wird schnell dieser Erfolg der letzten Behandlungsänderung zugeschrieben. Der Erfolg kann aber auch einfach nur darin begründet sein, dass auch bei schlechter Ausgangslage mit steigender Anzahl von Versuchen die Erfolgswahrscheinlichkeit steigt. Im Einzelfall ist unmöglich zu sagen, ob eine homöopathische (oder auch jede andere) Behandlung den Erfolg bewirkt hat oder nicht. Letzteres könnte nur ein gezieltes Experiment (mit oben genannter randomisierter, plazebokontrollierter Doppelblindstudie) zeigen. Bei derartigen Studien ist die Homöopathie aber praktisch immer auf die Nase gefallen.

Die Studienlage zum Thema Unfruchtbarkeit und Homöopathie ist ziemlich dürftig. Ein Review von Studien war auf PubMed mit den üblichen Schlüsselworten nicht auffindbar. Man kann mit gutem Grund sagen: Es gibt keine guten Hinweise dafür, dass Homöopathie bei Kinderlosigkeit hilft.


  1. Gerhard I, Wallis E.: Individualized homeopathic therapy for male infertility. Homeopathy. 2002 Jul;91(3):133-44.
  2. Bergmann J, Luft B, Boehmann S, Runnebaum B, Gerhard I: The efficacy of the complex medication Phyto-Hypophyson L in female, hormone-related sterility. A randomized, placebo-controlled clinical double-blind study. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2000 Aug;7(4):190-9.