RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

12.
August
2009

10 Warnsignale für Pseudowissenschaft

Geschrieben von Michael Hohner am 12. August 2009, 11:33:26 Uhr:

Man wird öfter mit einer neuen wissenschaftlichen Studie oder einer neuen Theorie konfrontiert, beispielsweise in einer Pressemeldung, und man hat selbst nicht das spezifische Fachwissen, um den Sachverhalt beurteilen zu können. Ist die neue Erkenntnis das Ergebnis von solider Wissenschaft, oder sollte man das Ergebnis mit Skepsis betrachten? Glücklicherweise gibt es eine Menge Warnsignale für unseriöse Pseudowissenschaft. Wenn eine Menge dieser Warnsignale aufleuchten, dann sollte man lieber seine Weltanschauung vorerst nicht ändern und den Geldbeutel stecken lassen. Hier die ersten zehn Warnzeichen:[1]

  1. Verwendung einer Menge unnötigen Jargons. Jargon wird auch in echter Wissenschaft verwendet. Ein Wissenschaftler wird jedoch immer wissen, wie ein bestimmter Begriff im jeweiligen Fall genau definiert ist und warum er diesen und nicht einen anderen Begriff gebraucht hat. Jargon dient hier zur Präzisierung einer Aussage. In Pseudowissenschaften dient Jargon nur dazu, besonders wissenschaftlich zu erscheinen.
  2. Als Nachweise für eine Wirksamkeit werden eine Menge Anekdoten zitiert, insbesondere von zufriedenen Kunden oder von Prominenten, jedoch keine brauchbaren Studien.
  3. Übermäßige Verwendung von Schwurbelworten wie „ganzheitlich”, „Energie”, „Quanten…”, usw., ohne nachvollziehbaren Zusammenhang.
  4. Wenn eine Wirksamkeit mit der Quantenmechanik begründet wird, sind prinzipiell Zweifel angebracht. Wie Richard Feynman schon sagte, „Es gab eine Zeit, als Zeitungen sagten, nur zwölf Menschen verständen die Relativitätstheorie. Ich glaube nicht, dass es jemals eine solche Zeit gab. Auf der anderen Seite denke ich, es ist sicher zu sagen, niemand versteht Quantenmechanik.”
    Die Quantenmechanik ist teilweise unintuitiv und bizarr. Die Quantenmechanik kann aber nicht dazu herhalten, jeden bizarren Nonsens zu begründen.
  5. Es werden eine Menge Annahmen getroffen, die notwendig sind, damit eine Theorie als korrekt angesehen werden könnte. Die Annahmen widersprechen anderen bekannten und als korrekt angesehenen Theorien. Es müsste sich eine Menge bekannten Wissens als falsch herausstellen, damit die Theorie plausibel wird.
  6. Abwesenheit einer Fehlerrechnung. Pseudowissenschaft kennt nur Unfehlbarkeit, Wissenschaft ist sich ihrer Fehler und Fehlbarkeit bewusst. In seriösen wissenschaftlichen Publikationen sind, wann immer es angebracht ist, mögliche Fehlerquellen und Toleranzen angegeben. Alle Berechnungen sind von einer Fehlerrechnung begleitet, und am Ende wird das Ergebnis als Wert innerhalb eines Fehlerintervalls angegeben. Pseudowissenschaft dagegen ist oft von ihrer Richtigkeit dermaßen überzeugt, dass eine Fehlerrechnung fehlt.
  7. Mathematisierung und mathematische Beweisführung. Einige Pseudowissenschaften wollen besonders seriös erscheinen, indem sie ihre Thesen mit Hilfe mathematischer Formeln unterstreichen. Dabei wird dann meist nicht erläutert, wie diese Formeln und darin enthaltene Konstanten zustandekommen. Die Formeln werden als gegeben präsentiert wie die Thesen selbst. Besonders skeptisch muss man sein, wenn eine Theorie mit der Mathematik als korrekt bewiesen werden soll. Echte Wissenschaft, insbesondere Naturwissenschaft, ist da deutlich vorsichtiger. Mathematik wird darin als Hilfsmittel verwendet, nicht als Beweismittel. Generell wird in der Naturwissenschaft fast nie ein Positivbeweis geführt. Jede seriöse Theorie ist ein Provisiorium, das von der aktuellen Nachweislage gestützt wird und jederzeit durch einen Gegenbeweis zu Fall gebracht werden kann. Mathematik wird eher zum Führen eines solchen Gegenbeweises verwendet. Außerdem ist nicht alles, was berechenbar ist, auch in der Realität möglich. Wenn Mathematik ein Teil der Nachweise ist, dann muss diese Mathematik natürlich stimmen. Eine korrekte Mathematik alleine sagt jedoch nichts über die Korrektheit der Theorie aus. Eine seriöse Theorie misst sich immer an der Realität, nicht an der Mathematik.
  8. Begründung mit langer Tradition oder althergebrachtem Wissen. Wenn der einzige Nachweis für eine Wirksamkeit oder eine richtige Theorie ist, dass die Methode schon lange praktiziert wird, dann sind Zweifel angebracht. Die meisten der aktuell anerkannten wissenschaftlichen Theorien sind eher jung. Die Tatsache, dass Akupunktur eine lange Tradition in China hat, sagt alleine noch nichts darüber aus, ob sie auch funktioniert. In Europa hatte die Praxis des „Aderlass” eine sehr lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Dennoch wird heute der Aderlass nicht mehr allgemein als Heilmethode angewendet, einfach weil er sich für die meisten Indikationen als unwirksam oder sogar gefährlich herausgestellt hat. Auf lange Sicht übertrumpft Wirksamkeit immer Tradition.
  9. Unklare Testmethoden. Wenn in einer Studie nicht klar dargelegt ist, wie eine Behauptung getestet wurde, wie z.B. die Probanden ausgewählt wurden, welche Parameter gemessen wurden, welche Variablen kontrolliert wurden, welche Ergebnisse erfasst und welche ignoriert wurden, wie die Ergebnisse bewertet und statistisch zusammengefasst wurden, usw., dann kann man eine Studie im Grunde als nutzlos bezeichnen.
  10. Eine Studie wurde von einer Organisation durchgeführt, die ein Interesse an der Promotion eines bestimmten Ergebnisses hat. Wenn die durchführende Organisation keine neutrale Einstellung zu den möglichen Ergebnissen einer Studie hat, dann sind prinzipielle Zweifel angebracht. Zu oft werden solche Studien so angesetzt, durchgeführt und interpretiert, dass das „gewünschte” Ergebnis erscheint. Wenn also beispielsweise eine der Universitäten des Vatikan in einer Studie zum Ergebnis kommt, dass Homosexualität negative soziale Auswirkungen hat, oder wenn ein Tabakkonzern die Ungefährlichkeit von Zigarettenrauch nachweist, dann sollte man lieber dreimal hinschauen.[2] Generell sollte man eher Studien trauen, die von Organisationen durchgeführt oder beauftragt werden, denen weder das eine noch das andere Ergebnis „genehm” ist.

Generell will Pseudowissenschaft den Anschein von echter Wissenschaft erwecken, mit dem entsprechenden Jargon, der Formatierung von Artikeln, dem Zitieren von anderen Artikeln, etc. Vordergründig betrachtet ähneln sich Wissenschaft und Pseudowissenschaft stark. Der entscheidende Unterschied ist jedoch die Methodik. Wissenschaft publiziert Artikel im Peer Review, also nach Begutachtung durch Experten auf dem gleichen Fachgebiet zwecks Qualitätskontrolle. Wissenschaftliche Theorien werden von bekannten Nachweisen gestützt. Sie machen Vorhersagen zu Nachweisen, die man in der Zukunft beobachten kann. Sie lassen insbesondere Raum für Nachweise, die die Theorien widerlegen würden, falls solche Nachweise erbracht werden, d. h. die Theorien sind falsifizierbar. All dies fehlt bei Pseudowissenschaften. Pseudowissenschaft trifft keine Vorhersagen, Gegenbeweise führen nicht zum Fallenlassen oder Verfeinern der Theorie, sondern zu unbegründeten Ausreden, warum die Theorie trotzdem korrekt ist.


  1. Es gibt noch viele mehr, die folgen in einem späteren Artikel.
  2. Dies sind nur Beispiele, ich weiss nicht, ob speziell diese Studien wirklich existieren.