Dezember
2015
Büchernachlese 2015
Geschrieben von Michael Hohner am 28. Dezember 2015, 10:46:06 Uhr:
Andreas Quatember: Statistischer Unsinn
Ein weiteres Buch zum Thema „Statistiken und wie sie falsch dargestellt und interpretiert werden”. Quatember, Professor am Institut für Angewandte Statistik (IFAS) der Johannes Kepler Universität Linz sammelte jahrelang „Highlights” aus der Presse und erläutert, was die Probleme damit sind. Mathematisch ist der Text sehr einfach gehalten und sicher für alle verständlich.
Es gibt unvermeidliche Überschneidungen mit dem Buch Lügen mit Zahlen von Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff (siehe die Nachlese vom letzten Jahr). Die Schwerpunkte liegen jedoch bei beiden Büchern etwas anders, so dass sie sich durchaus gut ergänzen.
Wertung:
Edzard Ernst: A Scientist in Wonderland
Edzard Ernst stellte in diesem Jahr seine angekündigte Autobiographie vor. Er beschreibt darin seine frühen Jahre, seinen Aufenthalt in der Schlangengrube an der Universität Wien, und vor allem seine letzte Station an der Universität von Exeter. Dort wollte er die verschiedenen Methoden der Alternativmedizin systematisch auf ihre nachgewiesene Wirksamkeit untersuchen. Als sich dann immer wieder herausstellte, dass an diesen Methoden wenig bis nichts dran ist, wurden seine Kollegen und Vorgesetzten schnell unstimmig und gruben Ernst nach und nach das Wasser ab. Erstaunlich offen gab man auch zu, an der Wahrheit gar nicht so sehr interessiert zu sein. Und schließlich geriet er dann auch noch mit Prince Charles aneinander, selbst eifriger Verfechter und Anbieter von Alternativmedizin.
Das Buch gibt es mittlerweile auch in deutscher Übersetzung mit dem unsäglichen Titel Nazis, Nadeln und Intrigen (Nazis und Nadeln kommen nur als Randnotiz vor, aber was tut man als Verlag nicht alles für eine Alliteration und Sensationsheisch).
Wertung:
Deutsche Ausgabe:
Julien Musolino: The Soul Fallacy
Menschen haben eine Seele. Sie ist nichtmateriell, nichtphysikalisch, ist unabhängig vom Körper, unsterblich (d. h. kann im Jenseits weiterleben), und ist die Quelle des freien Willen, des Bewusstseins, von Gefühlen und Persönlichkeit. So versteht eine große Mehrheit der US-Amerikaner den Begriff „Seele”, und auch ein großer Teil der Europäer hat diese Vorstellung. In der Psychologie und den Neurowissenschaften sieht das anders aus. Dort glaubt, von ein paar Ausnahmen abgesehen, niemand an diese Form von Seele. Dort herrscht die Ansicht vor, dass das, was die Allgemeinheit der Seele zuschreibt, lediglich ein Ausdruck der Tätigkeiten unseres Gehirns ist. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen populärer Meinung und Konsens unter Fachleuten? Was sind die Argumente für eine Seele im ersten Sinn, und was deutet eher auf eine Seele im zweiten Sinn hin?
Um es gleich zu verraten: Die Argumente der „neuen Dualisten” vom Schlage eines Dinesh D'Souza und Deepak Chopra sind schwach. Es läuft immer auf eine Seele als Lückenbüßer-Erklärung hinaus („man weiß nicht, wie das Gehirn ein Bewusstsein produziert, also gibt es eine Seele”), die letztlich aber auch keine Erklärungskraft hat. Auch die bekannten Erzählungen von Nahtoderlebnissen und das starke subjektive Empfinden, dass da mehr sein soll als ein Gehirn, überzeugen bei kritischer Betrachtung wenig.
Musolino beantwortet auch die Frage, ob es überhaupt relevant ist, ob man an eine Seele der ersten Art glaubt oder nicht. Die Antwort kann über die Position entscheiden in den kontroversen Debatten über Abtreibungen und Sterbehilfe.
Das Buch plädiert dafür, den romantischen Glauben an eine Seele fallen zu lassen, auch wenn es schwer fällt. Und macht klar, dass das keinen Verlust darstellt. Wir verlieren kein Bisschen unserer Menschlichkeit, wenn nur unser Gehirn das ist, was uns ausmacht, und es darüber hinaus nichts gibt.
Wertung:
Bernd Kramer: Erleuchtung gefällig? Ein esoterischer Selbstversuch
Der Journalist Bernd Kramer hat im Bekanntenkreis einige Personen, die leicht esoterisch angehaucht sind. Er selbst versteht nicht recht, was daran so toll sein soll. Deshalb macht er einfach den Selbstversuch. Er ruft bei diversen Wahrsage- (äh, „Lebensberatungs”-) Hotlines an und nimmt an Sitzungen einer Reinkarnations-Therapeutin teil. Angeregt durch schnelle Erfolge steigt er selbst als Anbieter ein. Dafür sind beim Portal von Questico schließlich keinerlei Qualifikationen nötig. Auch nach dem Besuch einer Esoterikmesse gelingt ihm schnell der Wechsel auf die Seite der Aussteller, mit einer Heilbehandlung mit Hilfe eines „Transzendenzzapfens” (a. k. a. Weihnachtsschmuck).
Kramer wechselt gelungen zwischen humorigen Schilderungen seiner Abenteuer und eher ernsten Hintergrundinformationen. Dabei ist erschreckend, wie einfach man in der Szene Erfolg haben kann, wenn man den Leuten nur schön verschwurbelt genau das erzählt, was sie sowieso hören wollen. Am Ende stoppt ihn nur sein eigenes Gewissen, das manche der Gestalten in der Szene offenbar nicht haben.
Gelegentlich kommen Zweifel auf, wie genau Kramers Schilderungen seinen tatsächlichen Erlebnissen entsprechen, aber auszuschließen ist das nicht.
Wertung:
Lawrence M. Krauss: A Universe From Nothing
Krauss liefert mit seinem (schon ein paar Jahre altem) Buch eine komprimierte Einführung in die moderne Kosmologie. Beinahe nebenbei zeigt er dabei auch Wege auf, wie aus dem „Nichts” das Universum entstanden sein könnte und beantwortet damit diese alte Frage. Dabei muss er natürlich das „Nichts” geeignet definieren. Das klingt zugegebenermaßen etwas konstruiert, also „Nichts” gerade so zu definieren, dass daraus etwas entstehen kann. Krauss' religiöse Gegenspieler verwenden das natürlich als Angriffspunkt. Sie werfen der modernen Physik vor, dass aus „Nichts” auch nichts entstehen kann und glauben damit die Urknalltheorie widerlegen zu können. Dabei behaupten Sie aber gerade selbst, dass das Universum aus dem „Nichts” geschaffen wurde (nur mit Hilfe von Magie statt Physik), und sie können dabei auch keine bessere Definition von „Nichts” vorweisen.
Wertung:
Deutsche Ausgabe:
Heinz-Werner Kubitza: Der Dogmenwahn
Was machen eigentlich Theologen so den ganzen Tag, und warum wird Theologie eigentlich an Universitäten gelehrt?
Der bekannte Religionskritiker Kubitza lässt kein gutes Haar an der universitären Theologie. Während z. B. die Gebiete der Bibelforschung durchaus anerkannte Methoden der Geschichtswissenschaften anwenden, werden deren Ergebnisse vom Kernfach der Theologie, der Dogmatik, großzügig ignoriert. So werden Konflikte zwischen überlieferten Vorstellungen und der heutigen Realität einfach uminterpretiert anstatt anzuerkennen, dass die Überlieferungen einfach falsch sein könnten. So werden Scheinprobleme geschaffen, damit sie mit Scheinlösungen überwunden werden können.
In der Diskussion zum Thema Religionskritik ist das folgende Argument nicht selten: „Was ihr kritisiert und hinterfragt, das ist ja nur naiver Kinderglaube. Die richtige Theologie ist ja viel ausgefeilter!”. Nach dem Lesen von Kubitzas Buch wird klar: Das einzige, was da ausgefeilter ist, sind die geistigen Verrenkungen und die Rationalisierungsstrategien. Am Ende landet man doch wieder beim Lückenbüßergott, bei „das muss man halt einfach glauben” oder dem persönlichen inneren Erleben als Begründung.
Kubitza wird auch deutlich zum Status der Theologie als universitäre Lehre: Ein Fach, das ausdrücklich nicht ergebnisoffen ist, das konfessionell gespalten ist, das die Existenz seines Forschungsgegenstands nicht nachweisen kann, und das im Kern nicht-wissenschaftlich arbeitet gehört nicht an eine Hochschule. So etwas würde in keinem anderen Bereich akzeptiert. Die Ausbildung ihres Priesternachwuchses sollten die Kirchen selbst durchführen und bezahlen, und zwar außerhalb des Hochschulbetriebs.
Wertung:
Mark Miodownik: Stuff Matters
Alles im Universum besteht auch den gleichen Elementarteilchen, im Wesentlichen Protonen, Neutronen und Elektronen. Und doch lassen die sich so vielfältig kombinieren, dass Milliarden höchst unterschiedliche Stoffe entstehen.
Miodownik gibt einen interessanten Einblick in die Materialwissenschaften anhand einer Szene, wie er auf seiner Terrasse sitzt und eine Tasse Tee mit Schokolade genießt. Wieso schmeckt Schokolade wie sie schmeckt? Warum ist Glas durchsichtig? Warum ist Metall gleichzeitig fest und biegsam? Wie kommt es zu den vielen verschiedenen Formen von Papier? Was ist das Besondere an Kunststoffen, Graphit, Porzellan, Beton?
Eine eher im Schatten stehende Wissenschaft wird ins Rampenlicht gerückt.
Wertung: