RatioBlog
5.
Dezember
2009

Ich habe Mail

Geschrieben von Michael Hohner am 5. Dezember 2009, 11:01:54 Uhr:

Ein Leser hat mir eine Mail geschickt, um mir mitzuteilen, dass er mit dem Artikel „Worum es hier geht” nicht einverstanden ist. Hier ein paar Ausschnitte:

Jetzt mal ehrlich, Sie (Seitenbetreiber) haben doch voll einen an der Waffel! Sie glorifizieren hier die Wissenschaft, die vielleicht 100 Jahre alt ist!

Nun, eine persönliche Beleidigung (Fehlschluss „Argumentum ad hominem”) ist nicht gerade eine geschickte Art, eine Argumentation zu beginnen. Aber ich nehme das nicht krumm und hoffe auf Argumente mit Inhalt.

Und das erste konkrete Argument ist prompt falsch. Wissenschaft im modernen Sinn wird seit der Renaissance betrieben und weiterentwickelt, also seit über 500 Jahren. Systematische medizinische Studien gibt es ebenfalls deutlich länger. Die erste, die man als solche ansehen kann, ist die Untersuchung von Vitamin C als Vorbeugung gegen Skorbut durch James Lind im Jahr 1747.

"Ist doch egal, wenn jemand sich mit Kristallen heilen will oder an Geister ... glaubt" Qigong, Akupunktur, Akupressur, Aromatherapie und traditionelle chinesische Medizin

das sind sachen die seit JAHRHUNDERTEN vielleicht sogar tausenden von jahren FUNKTIONIEREN

Diesen Fehlschluss nennt man „Argument des Althergebrachten”. Es wird sehr gerne von den Verfechtern der sogenannten Alternativmedizin vorgebracht. Es ist deshalb ein Fehlschluss, weil ein Verfahren oder eine Theorie mit langer Tradition eben nicht automatisch auch wirksam oder richtig ist. Die Richtigkeit bzw. Wirksamkeit muss auch für das Althergebrachte durch Nachweise gestützt werden, und sie müssen Überprüfungen standhalten.

Mit der wissenschaftlichen Methode kann man eine konkrete Hypothese wie „Methode X wirkt gegen Krankheit Y” sehr gut überprüft werden. Den besten Standard für eine solche Überprüfung stellen randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien dar. Sollte in einer solchen Studie die Methode eine signifikant stärkere Wirkung erzielen als das Placebo, dann hätte man schon einen Nachweis für die Richtigkeit der Hypothese.

Die Nachweise sollten auch proportional zur Behauptung ausfallen. Außergewöhnliche Behauptungen verlangen außergewöhnliche Nachweise. Wenn z.B. die Homöopathie den etablierten Erkenntnissen der Physik und Chemie grundsätzlich widerspricht, dann sollten die Nachweise schon höchsten Ansprüchen genügen.

(auch die TCM hat soweit mir bekannt in allen Studien genau so gut abgeschnitten wie die 'moderne Schulmedizin')

Gut zu erfahren, dass es solche Studien geben soll. Ich hätte dann gerne mal ein paar Zitate derselben. Bitte ausschließlich randomisiert, placebokontrolliert und doppelt verblindet. Wenn es geht, mit mehr als einem Dutzend Teilnehmern.

Das besondere an der TCM ist, dass es sich nicht um eine Methode handelt, sondern ein Sammelsurium aus allen möglichen Methoden und potentiellen Medikamenten. Es ist nichtmal unplausibel, dass einige verwendete Stoffe tatsächlich eine signifikante medikamentöse Wirkung haben. Die „westliche” Medizin testet diese Stoffe einzeln und gezielt auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Durch diesen Sieb fällt schonmal sehr viel durch. Der Rest wird dann genauer untersucht, die wirksame und sichere Dosis festgestellt, Gegenindikationen gefunden, die eigentlichen Wirkstoffe isoliert und ggf. chemisch verändert, um sie z.B. wirksamer oder verträglicher zu machen. Das nennt man dann am Ende Medikament.

Das Grundproblem der TCM ist, dass diese kritische Selbstüberprüfung fehlt. Eine Methode oder Stoff wird als wirksam postuliert, ohne dies wirklich systematisch zu überprüfen. Die Spreu wird nicht vom Weizen getrennt. Die Konzentration der potentiellen Wirkstoffe in den verwendeten Naturprodukten schwankt stark. Die Wirkungen und Nebenwirkungen werden nicht systematisch erfasst. TCM ist im besten Fall unwirksam und im schlimmsten Fall gefährlich. Die Untersuchung der Grauzone in der Mitte unterbleibt.

Sie belächeln hier Sachen die schon 10x solange existieren wie die moderne Wissenschaft, ja sogar oft nichtmal erklärbar durch diese sind (was umgekehrt oft der fall ist, leider zu gerne als 'hirngespinnst' abgetan wird)

Das ist schlicht falsch. Die geringen und unspezifischen Effekte der meisten Methoden der Alternativmedizin werden sehr wohl von der Wissenschaft erklärt. Die Erklärung heißt „Placeboeffekt”.

jetzt mal ehrlich jeder kennt doch den satz: 'traue nie einer statistik die du nicht selbst....'

Dieses Zitat ist ein verklausuliertes „Argument aus persönlichem Unglauben”, ein weiterer Fehlschluss. Ob jemand persönlich etwas glaubt oder nicht ist kein Beweis, dass etwas korrekt ist oder nicht. Auch hier zählen nur Nachweise. Wenn jemand eine Statistik berechtigt als falsch bezeichnen will, dann ist „glaube ich nicht” kein ausreichender Nachweis. Man muss schon im Detail zeigen, an welchen Stellen und warum eine Statistik falsch ist oder warum sie für einen bestimmten Zweck nicht dienen kann.

Und nur so nebenbei, weil dieses Zitat so gerne und oft benutzt wird: Wenn manche wüssten, wen sie hier zitieren, würden sie das Zitat vielleicht lieber vermeiden. Tipp: Es war nicht Churchill.

Auch ich bin ein kind der neuen Generation aber mit Wasser, haben wir schon seit 1000 Jahren gekocht, wieso kommt 'Ihre' Wissenschaft da nicht endlich mal mit was besserem?

Dies ist ein „Argument gegen einen Pappkameraden” (manchmal ungeschickt übersetzt auch „Strohmann-Argument” genannt). Es wird die Position der Gegenseite in einer Weise falsch dargestellt, dass man leichter dagegen argumentieren kann (so wie man einen Pappkameraden einfacher bekämpfen kann als einen echten Gegner).

Die Wissenschaft behauptet gar nicht, dass Wasser ungeeignet zum Kochen wäre. Es gibt keinen Anlass, die Verwendung von Wasser zum Kochen zu kritisieren.

Es ist gleichzeitig auch ein unterstelltes umgekehrtes Argument des Altertümlichen, also dass die Wissenschaft behaupten würde, dass etwas althergebrachtes automatisch nicht funktioniert. Auch das ist nicht der Fall. Wieder entscheiden hier ausschließlich die Nachweise, nicht die Tradition. Konkret bei diesem Beispiel weiß die Wissenschaft, dass Wasser preisgünstig ist, in den üblichen Mengen ungiftig ist, viele Stoffe sehr gut lösen kann, eine hohe Wärmekapazität besitzt, der Siedepunkt hoch genug ist. Nach dem etablierten Wissen ist es schonmal plausibel, dass es zum Kochen geeignet ist. Konkret nachweisen lässt sich die Behauptung auch relativ einfach, z.B. bei einem Vergleich mit Ethanol oder Ammoniak in einem Kochexperiment.

Wenn ich dann mal die Homöopathie mit der echten Medizin vergleichen darf: Die Grundlagen der Homöopathie sind aus der Luft gegriffen und werden durch etabliertes Wissen nicht gestützt. Die Methoden und Mechanismen widersprechen den bekannten Grundlagen der Physik und Chemie. In hochwertigen klinischen Studien wurde für Homöopathie kein größerer oder spezifischerer Effekt als der von Placebos festgestellt.