RatioBlog
18.
September
2009

Memantin - Medikament oder Placebo?

Geschrieben von Michael Hohner am 18. September 2009, 10:02:45 Uhr:

Kürzlich hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen die Wirksamkeit des Medikaments Memantin als unbelegt bezeichnet. Dieses Medikament wird zur Behandlung von Alzheimerpatienten eingesetzt. Es soll einen Überschuss des Neurotransmitters Glutamat abbauen und so eine Störung der Signalübertragung im Zentralnervensystem bei Alzheimerpatienten verhindern.

Die Kritik des IQWiG ist nun, dass die Wirksamkeit von Memantin in Studien bisher nicht eindeutig nachgewiesen wurde. Bisher lagen nur Studien vor, in denen Memantin und Kombinationstherapien mit Memantin mit Placebos verglichen wurden, und in diesen wird nur eine minimale Wirkung des Stoffes festgestellt. Weitere Vergleiche, insbesondere mit anderen Medikamenten, lägen nicht vor, oder die Daten wurden vom Hersteller nicht vollständig zur Verfügung gestellt. Auch als im Stellungnahmeverfahren des Instituts der Hersteller weitere Daten nachreichte, konnte keine eindeutige Wirksamkeit nachgewiesen werden.

Das IQWiG bemängelt zurecht, dass der Gemeinschaft der Krankenversicherten nicht zuzumuten ist, die Kosten für ein Medikament mit einer kaum nachgewiesenen Wirksamkeit zu tragen.

Auch die Cochrane Collaboration scheint wenig begeistert von Memantin zu sein: Für mittlere bis schwere Erkrankungen zeigen 2 von 3 untersuchten Studien einen nur kleinen Nutzen, für leichte bis mittlere Erkrankungen war der Nutzen an der Grenze des Nachweisbaren.

Einer der Hersteller Merz, der das Medikament unter dem Handelsnamen „Axura”® vertreibt, ist überzeugt davon, dass die Wirksamkeit von Memantin gegeben ist. Anstatt dies aber anhand von aussagekräftigen Daten zu belegen, wurde in einer Pressemeldung entgegnet:

Mit seiner rein statistischen Betrachtung hat das Institut den klinischen Nutzen sowie die Praxiserfahrung von Ärzten, Patienten und Angehörigen bewusst ignoriert und gefährdet damit die lückenlose Versorgung der Alzheimer-Patienten in Deutschland.

Mit anderen Worten, „pfeift auf aussagekräftige Studien, glaubt lieber unseren Anekdoten”. Das ist eine Argumentationsweise, die sonst eher bei Herstellern der sogenannten Alternativmedizin üblich ist. Immer wenn die Wirksamkeit eines Stoffes sich in klinischen Studien in Luft aufzulösen droht, dann ist die Ausrede „aber unsere Patienten fühlen sich besser” nicht weit. Mit diesem Argument könnte man auch die Verschreibung von reinen Placebos fordern. Gerade die „rein statistische Betrachtung” ist es, die in der evidenzbasierten Medizin die Spreu vom Weizen zu trennen vermag.

Weiter:

Folgt die Gemeinsame Selbstverwaltung der IQWiG-Einschätzung und schließt die in Deutschland am häufigsten verordnete Substanz unter den Alzheimer-Medikamenten aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aus, drohen bei der Pflegeversicherung und Sozialhilfe angesichts der neuen Volkskrankheit Demenz mit schon heute mehr als 1,2 Millionen Betroffenen enorme Mehrbelastungen.

Hier geht Merz davon aus, dass ein gering bis nicht wirksames Medikament weiter in gleichem Umfang verschrieben wird wie bisher. Das würde wohl so nicht passieren. Stattdessen würde man auf höher wirksame Mittel umschwenken, deren Kosten wieder von den Kassen getragen werden. Vordergründig sorgt sich Merz um die wirtschaftliche Lage der Betroffenen und schürt gleichzeitig Existenzängste bei diesen. Tatsächlich scheint Merz sich eher Sorgen zu machen, dass eine ihrer Einnahmequellen wegbrechen könnte.

Auch für reguläre Pharmahersteller gilt: Wenn ein Medikament wirksam ist, dann wird sich das auch in entsprechenden Studien zeigen. Wenn die Wirksamkeit schwindet, je größer und besser die Studien angelegt sind, dann ist das kein gutes Zeichen. Ebenfalls ein schlechtes Zeichen ist es, wenn versucht wird, die Situation nicht mit Belegen durch bessere Studien zu retten, sondern mit intensiverer PR. Wenn der Nutzen so offensichtlich ist wie Merz überzeugt ist, dann sollte es doch kein Problem sein, die geforderten Daten an das IQWiG zu liefern.