Dezember
2014
Büchernachlese 2014
Geschrieben von Michael Hohner am 16. Dezember 2014, 08:03:03 Uhr:
Die folgenden Bücher habe ich 2014 gelesen und noch nicht in einer ausführlichen Besprechung vorgestellt. Die meisten davon sind erst kürzlich erschienen. Deswegen möchte ich diesen Büchern wenigstens mit einer Kurzbesprechung gerecht werden:
Rolf Bergmeier: Christlich-abendländische Kultur – Eine Legende
Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass die kulturellen Errungenschaften der Antike durch das Christentum, insbesondere durch Klöster, über das Mittelalter hinwegtransportiert wurden, und dass gerade auch die Klöster als die wahren Geburtsstätten der Wissenschaften anzusehen sind. Demzufolge werden von der (meist konservativen) Politik gerne die „christlich-abendländische Kultur” und die „judeo-christlichen Werte” zitiert, meist um eine Gegenposition entweder zum Islam oder zu liberalen Standpunkten zu errichten.
Nach dem Lesen des Buchs von Bergmeier wird klar, dass diese „christlich-abendländische Kultur” im Wesentlichen eine Falschzuschreibung ist. Vor und während dem Mittelalter wurden Texte, die für die Kirche keinen Nutzen darstellten, entweder direkt vernichtet oder das Material für neue Abschriften von religiösen Texten wiederverwendet. Säkulare Texte aus der Antike wurden vor allem im OsmanischenArabischen Reich bewahrt und erst während der Aufklärungzum Ende des Hochmittelalters und während der Renaissance aus Spanien und dem nahen Osten nach Mitteleuropa re-importiert. Auch mit der Klosterwissenschaft ist es nicht weit her. Hildegard von Bingen, die Galionsfigur der Klostermedizin, hat im Grunde nichts zur modernen Medizin beigetragen. Das ist auch wenig überraschend, denn diese Klosterwissenschaften basierten eher auf theologischen Dogmen als auf Evidenz.
Ein wertvoller Beitrag zur Kulturkampf-Debatte der letzten Jahre und ein wichtiges Argument gegen die dabei verbreitete Geschichtsklitterung.
Wertung:
Gerd Bosbach, Jens Jürgen Korff: Lügen mit Zahlen
Wir sind jeden Tag umgeben von Statistiken. Mit harten Zahlen soll gezeigt werden, wie die Gesundheitskosten steigen, wie gut oder schlecht unser Bildungssystem ist, wie sparsam oder auch nicht unsere Autos sind, usw. Bosbach und Korff zeigen, dass man dabei immer die Details anschauen muss, um zu sehen, ob eine Statistik wirklich das zeigt, was sie zeigen soll, oder ob da gar nichts dran ist. Wenn man z. B. die bekannten Diagramme, die vor einer Kostenexplosion des Gesundheitssystems warnen, so korrigiert, dass die Y-Achse auch bei Null beginnt, und auch noch die allgemeine Preissteigerung herausrechnet, dann verpufft die Explosion geradezu.
Locker und anschaulich geschrieben, und Mathematikkenntnisse jenseits der Grundrechenarten sind nicht nötig, um den Inhalt nachvollziehen zu können.
Zu kritisieren ist (wie so oft) der reißerische Titel, der wohl eher vom Verlag als von den Autoren stammt. Die Autoren sind keinesfalls erklärte Feinde von Statistiken. Ohne Statistik wären wir in vielen wichtigen Entscheidungsfragen blind und nur auf Bauchgefühl angewiesen. Die Autoren sind Feinde von absichtlich oder unabsichtlich schlecht gemachten Statistiken, und Freunde von korrekten und aussagekräftigen Statistiken. Eine große Verschwörung vermuten Sie nicht, wie man es vom Untertitel vielleicht ableiten könnte.
Wertung:
Bill Bryson: One Summer: America 1927
1927 ist viel passiert, in Amerika und in der Rest der Welt. Der erste Weltkrieg ist noch nicht lange vorbei, die Luftfahrtindustrie geht mit großen Schritten voran und mündet in derim ersten Nonstop-AtlantiküberquerungFlug von New York nach Paris durch Lindbergh. Babe Ruth jagt einen Baseball-Rekord nach dem anderen. Wenig spektakuläre Verbrechen erzeugen spektakuläre Publicity in der Klatschpresse. Eine Flutkatastrophe in Mississippi verhilft Hoover zu seiner zukünftigen Präsidentschaft.
Bill Bryson zeichnet die Entwicklungen gewohnt unterhaltsam nach und verknüpft die Stränge schließlich im Sommer 1927. Weite Strecken des Buches beschäftigen sich mit Babe Ruth und Baseball im Allgemeinen, und diese Passagen sind für viele Europäer so wie Baseball allgemein: langweilig. Deshalb Punktabzüge.
Wertung:
Deutsche Ausgabe:
Guy P. Harrison: Think. Why You Should Question Everything.
Harrison hat eine Einführung in den wissenschaftlichen Skeptizismus geschrieben. Nach einem allgemeinen Teil, worin er erklärt, warum Skeptizismus wichtig ist, widmet er den großen Mittelteil einigen bekannten Themen.
Das Buch könnte eines sein, das man allgemein empfehlen könnte, wenn es nur nicht so viele ermüdende Wiederholungen geben würde. Man ertappt sich ständig dabei, vom Lesen zum Überfliegen zu wechseln. Es wirkt streckenweise arg bemüht. Es wurden schon bessere Bücher dieser Kategorie geschrieben.
Wertung:
Stephen Law: Believing Bullshit
Stephen Law entlarvt in diesem Buch die üblichen Rhetoriktricks „das ist ein Mysterium”, „das passt aber genau!”, Totschlagargumente, „ich weiß das einfach”, Tiefgründelei usw.
Schönes und kurzweiliges Buch, das sich von den üblichen Einführungen in Skeptizismus abhebt.
Wertung:
Deutsche Ausgabe:
Randall Munroe: What If?: Serious Scientific Answers to Absurd Hypothetical Questions
Randall Munroe, Autor des Nerd-Comic xkcd, bekommt von seinen Lesern ständig absonderliche Fragen, z. B. „Was würde passieren, wenn man einen Baseball mit 90% der Lichtgeschwindigkeit wirft”, oder „Wie lange würde man überleben, wenn man im Abklingbecken eines Kernkraftwerkes schwimmen würde”. Munroe antwortet darauf mit aller Ernsthaftigkeit, und die Antworten sind nicht nur unterhaltsam, sondern öfter recht überraschend.
Ein schönes Buch. Alle Kapitel sind unabhängig voneinander. Perfekt für alle, die Bücher selten am Stück lesen (können).
Wertung:
Deutsche Ausgabe:
Simon Singh: The Simpsons and Their Mathematical Secrets
Unter den Autoren der Cartoon-Serie „Die Simpsons” befinden sich bemerkenswert viele Personen mit einem Hintergrund in der Mathematik und in Naturwissenschaften, nicht zuletzt David S. Cohen, Erfinder und Hauptautor der Serie. So ist es dann wenig überraschend, dass die Serie gespickt ist mit versteckten Hinweisen und mathematischen Rätseln und Witzen. In der Serie „Futurama” (vom gleichen Autorenteam) wird das Ganze noch eine Stufe weitergedreht.
Simon Singh stellt die Autoren vor und erklärt den Hintergrund einiger der versteckten Ostereier. Nie langweilig, fügt Singh seinem bereits vielfältigen Werk eine weitere Facette hinzu.
Für mich das Buch des Jahres 2014.
Wertung:
Deutsche Ausgabe: