RatioBlog
11.
November
2012

Fehlschluss #25: Falscher Kompromiss

Geschrieben von Michael Hohner am 11. November 2012, 13:15:43 Uhr:

Der Fehlschluss des falschen Kompromisses ist das Gegenstück zum falschen Dilemma. Dort ist angeblich eine Entscheidung notwendig zwischen mehreren Aussagen, die sich nicht tatsächlich gegenseitig ausschließen, bzw. zwischen denen es noch weitere Möglichkeiten oder eine Grauzone gibt. Beim falschen Kompromiss dagegen schließen sich zwei oder mehr Möglichkeiten tatsächlich gegenseitig aus, und dennoch wird behauptet, dass mehrere Aussagen wahr sein können, oder dass eine Mischaussage wahr ist.

Wenn sich zum Beispiel die Aussagen

Astrologie funktioniert
und
Astrologie funktioniert nicht
gegenüberstehen, dann ist die Wahrheit nicht
Astrologie funktioniert zu 50%

Was bei einfachen Beispielen sofort als Fehlschluss auffällt, ist bei realen Diskussionen weniger offensichtlich. Der Grund dafür ist häufig, dass keine Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung bzw. Geschmacksurteil getroffen wird. Eine Tatsachenbehauptung kann im Prinzip immer empirisch überprüft werden, und am Ende steht fest, welche Behauptungen richtig, welche falsch und welche noch ungeprüft sind. Eine Kompromissfindung zwischen sich ausschließenden Tatsachenbehauptung ist weder möglich noch sinnvoll.

Wird jedoch eine Tatsachenbehauptung als reine Meinungsäußerung oder als Wertung dargestellt oder uminterpretiert, dann ergibt sich ein Hang zur Kompromissbildung. Dies ist besonders dann zu beobachten, wenn sich Journalisten aus den Ressorts Politik oder Gesellschaft ins Ressort Wissenschaft u. ä. verlaufen. Dann werden beinahe zwanghaft immer „beide Seiten” eines Themas dargestellt, egal wie abseitig eine der beiden ist, nur damit eine scheinbare Ausgewogenheit hergestellt wird.